Anmerkungen

 

 

[1] Adorno: Negative Dialektik, S. 16.

[2] Adorno: Noten zur Literatur II, S. 192.

[3] Goulding et al.: Jürgen Habermas: An international bibliography; siehe auch: René Görtzen: Jürgen Habermas: Eine Bibliographie seiner Schriften und der Sekundärliteratur 1952 1981. Frankfurt a. M., 1982.

[4] Der volle Umfang der von Habermas in Gang gesetzten Kontroversen wird erst sichtbar, wenn einige in der Sekundärlitertur auftauchenden Bereiche beim Namen genannt werden: Linguistik, Sprach und Sozialisationsforschung, Psychoanalyse, Pädagogik, Ästhetik; Philosophische Anthropologie, Ethnologie, Biologie, Evolutionstheorie, Systemtheorie, Recht; Sprechakttheorie, analytische Philosophie, Wahrheitstheorien, Positivismus und Werturteilstreit; Hermeneutik; Verstehen/ Erklären Kontroverse. Oder in Form einer Auseinandersetzung mit namhaften Autoren: Nietzsche, Freud, Lukács, Husserl, Wittgenstein, Marcuse, Horkheimer und Adorno, George Herbert Mead, Max Weber, Talcott Parsons, Niklas Luhmann. Oder um es sachorientiert auszudrücken: Steuerungs , Legitimations , Motivationskrise im modernen Staat, internationale Arbeitsteilung und Kapitalkonzentration, Rüstung und Atomenergie, Krisen im System der »sozialen Reproduktion« (Pädagogik, Erziehung, Studentenrevolte). Auf einen Nenner gebracht: Krisenerscheinungen im Spätkapitalismus. W. Dallmayr ist sicherlich darin zuzustimmen, daß wir es hier mit nichts weniger als einer neuen Wissensenzyklopädie zu tun haben, welche die Einheit des Wissens »sowohl gegenüber der zunehmenden Spezialisierung und Verzettelung der Forschung wie auch gegenüber den imperialistischen Allüren einzelner Wissenszweige« abgrenzt. (W. Dallmayr, »Einleitung« in: Materialien zu Habermas' Erkenntnis und Interesse, S. 15.)

[5] Vgl. dazu: Herbert Schnädelbach: Reflexion und Diskurs: Fragen einer Logik der Philosophie, Frankfurt a. M., 1977. Auch Schnädelbach geht davon aus, daß 'Reflexion' der wichtigste Methodenbegriff der neueren Philosophie ist. (S. 9, Nachdruck im Original). Allerdings leidet dieses Buch m.E. darunter, daß der Reflexionsbegriff nicht weit genug gefaßt wird, um auch noch die Modelle, die die Philosophie insgesamt als 'Reflexion' eines realen (objektiven) Zustandes verstanden haben will (in einem Wort: der 'Materialismus'), ernsthaft diskutieren zu können; weder Lukács' noch Adornos Kantkritik leuchtet Schnädelbach wirklich ein. »Die Interpretation Kants im Sinne einer zu entmythologisierenden transzendentalen Produktionstheorie geht zurück auf G. Lukács, [...]; sie hat inzwischen eine eigene Tradition ausgebildet, die bis heute das Kant Bild der Kritischen Theorie bestimmt.« (S. 126.) Das hält er für ein »Vorurteil« (ibid.), und es ist dann auch folgerichtig (wenn auch unüberzeugend), daß sämtliche (nicht nur marxistischen) Versuche, das Verhältnis von Erkenntnistheorie und Gattungsevolution zu klären, undiskutiert beiseite gelassen werden: »Wie man dies (Konstitutionstheorie – F.v.G.) mit Arbeit oder gar Produktion zusammenbringen kann, überlasse ich gern den transzendentalen Produktionstheoretikern als Problem« (S. 127, Fußnote 136.).

[6] Vgl. Albrecht Wellmer: »The Linguistic Turn of Critical Theory«; deutsch: »Kommunikation und Emanzipation. Überlegungen zur sprachanalytischen Wende der Kritischen Theorie«. Wiederabdruck: Urs Jaeggi und Axel Honneth: Theorien des Historischen Materialismus, Frankfurt a. M., 1977, S. 465. Habermas selbst spricht jetzt (1982) von einer »Wendung von der Erkenntnis zur Kommunikationstheorie« (Vorwort zur Neuausgabe: LSW).

[7] Vgl. Urs Jaeggi und Axel Honneth: »Zur Rekonstruktion des kritischen Marxismus« in: (dies.) Theorien des Historischen Materialismus, Frankfurt a. M., 1977, S. 167 ff.; George Lichtheim: From Marx to Hegel, London, 1971.

[8] Wellmer: »Der heimliche Positivismus der Marxschen Geschichtsphilosophie« in: Kritische Gesellschaftstheorie und Positivismus, Frankfurt a. M., 1969, S. 69 ff.

[9] Die Unfähigkeit, Ontogenese und Phylogenese (oder Psychologie und Logik) als separate Reflexionsmomente auseinanderhalten zu können, ist Idealismus, Adorno zufolge: »Das Wort Identität war in der Geschichte der neueren Philosophie mehrsinnig. Einmal designierte es die Einheit persönlichen Bewußtseins: daß ein Ich in all seinen Erfahrungen als dasselbe sich erhalte. Das meinte das Kantische 'Ich denke, das alle meine Vorstellungen soll begleiten können'. Dann wieder sollte Identität das in allen vernunftbegabten Wesen gesetzlich Gleiche sein, Denken als logische Allgemeinheit; weiter die Sichselbstgleichheit eines jeglichen Denkgegenstandes, das einfache A = A. Schließlich, erkenntnistheoretisch: daß Subjekt und Objekt, wie immer auch vermittelt, zusammenfallen. Die beiden ersten Bedeutungsschichten werden auch von Kant keineswegs strikt auseinander gehalten. Das ist nicht Schuld eines laxen Sprachgebrauchs. Vielmehr bezeichnet Identität den Indifferenzpunkt des psychologischen und logischen Moments im Idealismus.« (ND 145)

[10] Von einem »vulgären Jesuitismus« und einer »Wahlverwandschaft von Konservatismus und Revolution« ist beim späten Adorno sogar die Rede (vgl. Gesammelte Schriften, Bd. 10, 2. Teilband, S. 763).

[11] Albrecht Wellmers Formulierung: Vgl. »Kommunikation und Emanzipation«, ibid., S. 496.

[12] Habermas: »Demokratisierung der Hochschule – Politisierung der Wissenschaft?« TuP 376. Böhme, van den Daele, Krohn: »Die Finalisierung der Wissenschaft« in: Werner Diederich, (Hrsg.): Theorien der Wissenschaftsgeschichte, Beiträge zur diachronischen Wissenschaftstheorie, Frankfurt a. M., 1974.

[13] Schnädelbach: RuD, S. 13 ff.

[14] In EuI wird die These begründet, »daß Aussagen über eine kontingent entstandene Menschengattung (die die logische Stelle des transzendentalen Bewußtseins überhaupt einnehmen soll) letzlich nur im Rahmen einer Theorie der Gattungsgeschichte oder der sozialen Evolution begründet werden können.« (S. 373).

[15] »... der Materialismus versteht sich nicht nur als innerphilosophische Gegenposition zum Idealismus, sondern mehr noch als Gegenposition, ja Negation der Philosophie als Philosophie.« Werner Post/Alfred Schmidt: Was ist Materialismus? München, 1975, S. 10 ff.

[16] Das dürfte ironisch klingen (es braucht nur an Zur Kritik der instrumentellen Vernunft erinnert zu werden), aber vielleicht nur deshalb, weil die frühe Kritische Theorie zu so etwas wie einer Dämonisierung der Naturwissenschaften tendiert und wesentliche Differenzierungen innerhalb des »bürgerlichen« Wissenschaftssystems vernachlässigt. Es ist noch zu zeigen, daß wohlbekannte Antinomien (z.B. das alte Problem einer genauen Differenzierung zwischen »Materialismus« im abstrakt dogmatischen und geschichtlich dialektischen Sinne) ausgerechnet dort wieder auftauchen, wo, dem Urteil der Dialektik der Aufklärung zufolge, eher eine hoffnungslos verdinglichte, bürgerlich ideologische Begriffswüste zu vermuten wäre: nämlich in der System und Handlungstheorie.

[17] Adorno: »Zur Kritik steht der Begriff des absolut Ersten selber« (MdE 14)

[18] In Habermas' Terminologie: ein »Rationalitätskomplex« unter mehreren. Vgl. TkH (Bd. 1) S. 45. Schon 1957 faßt Habermas als Schlüsselthese des Historischen Materialismus zusammen: »daß der Anspruch der Philosophie innerhalb der Philosophie nicht verwirklicht und auch nicht zu verwirklichen ist«. (LpD 404)

[19] Vgl. die sog. strukturalistischen Marxinterpretationen: z.B. Althusser: Pour Marx. Die strukturalistischen Ansätze (die sich von der angelsächsischen Systemtheorie nur darin unterscheiden, daß sie für sich ein Moment der politischen Radikalität beanspruchen) leiden eben darunter, daß der Empirismus, dessen fortgeschrittenste Form sie sind, als abstrakt und unvermittelt (d.h.: die Dimension der Geschichte ausblendend) »gesetzt« wird. Die Geschichtslosigkeit der bürgerlichen Epoche – wie Alfred Schmidt in Geschichte und Struktur darlegt – wird damit eher reproduziert als reflektiert.

[20] Habermas spricht in einer einleuchtenden Formulierung von der »gleichzeitigen Unvermeidlichkeit und Undurchführbarkeit der transzendentalen Reflexion«: »[...] die kategoriale Formung der Gegenstandsbereiche, über denen die objektivierenden Wissenschaften Theorien errichten, verraten ein synthetisches Apriori der handlungsbezogenen Erfahrung; aber zugleich ist das Subjekt dieser Erfahrung ein Produkt der Gattungs und der Naturgeschichte, und es ist mit Kompetenzen ausgestattet, die gleichzeitig in ihrer Logik nachkonstruiert und in ihrer Entstehung empirisch erklärt werden müßten.« (EuI 378)

[21] z.B. Schnädelbachs Reflexion und Diskurs.

[22] »[...] es ist endlich an der Zeit, die Kantische Frage 'wie sind synthetische Urteile a priori möglich?' durch eine andre Frage zu ersetzen 'warum ist der Glaube an solche Urtheile nöthig?'«. Jenseits von Gut und Böse, (Kröner Verlag), 1976, S. 18.

[23] Wellmer: Praktische Philosophie und Theorie der Gesellschaft Zum Problem der normativen Grundlagen einer kritischen Sozialwissenschaft, Konstanz 1979, S. 9.

[24] Vgl. Habermas: »Der Dualismus von Natur und Geisteswissenschaften« in: Zur Logik der Sozialwissenschaften, S. 89.

[25] Alfred Schmidt: »Die 'Zeitschrift für Sozialforschung' – Geschichte und gegenwärtige Bedeutung« in: (ders.) Zur Idee der Kritischen Theorie, S. 55.

[26] Wellmer kommt auf das Erschrecken zu sprechen, »das westeuropäische Sozialisten befallen haben muß, als sie entdeckten, daß nicht selbstverständlich war, was für sie wie für Marx, die viel zu tief in den politischen Traditionen Westeuropas verwurzelt waren, immer selbstverständlich gewesen war: daß die proletarische Revolution nicht die Abschaffung, sondern die Verwirklichung der demokratischen Ansätze des modernen europäischen Rechtsstaates sein werde.« Kritische Gesellschaftstheorie und Positivismus, S. 133.

[27] Negative Dialektik, S. 15.

[28] Vgl. Stefan Breuer: Die Krise der Revolutionstheorie. Frankfurt a. M., 1977; auch Axel Honneth: »Arbeit und instrumentales Handeln. Kategoriale Probleme einer kritischen Gesellschaftstheorie«; in: Honneth und Jaeggi: Arbeit, Handlung, Normativität: Theorien des Historischen Materialismus 2, Frankfurt a. M., 1980. Auch André Gorz: Abschied vom Proletariat, Frankfurt a. M., 1980.

[29] Aus seinem Spätwerk stammt der bemerkenswerte Satz: »Intellektuelle erfanden den Ausweg, die verzweifelt Arbeitslosen zusammen mit dem Lumpenproletariat seien die gegebene Avantgarde, womöglich verbunden mit anderen Gruppen am Rand der Gesellschaft. Der Einfall ist sympathischer als glaubhaft«. (»Marx heute« in: Gesellschaft im Übergang, S. 158.) Ähnliche Formulierungen finden sich schon in der Dämmerung.

[30] Vgl. Helmut Dubiel: Wissenschaftsorganisation und politische Erfahrung. Studien zur frühen kritischen Theorie Frankfurt a. M., 1978 und Alfons Söllner: Geschichte und Herrschaft. Studien zur materialistischen Sozialwissenschaft 1929 1942, Frankfurt a. M., 1979.

[31] Giacomo Marramao: »Zum Verhältnis von Politischer Ökonomie und Kritischer Theorie« (in: Ästhetik und Kommunikation, J.4, H.11, S. 79) verfehlt, trotz einer sonst lehrreichen Diskussion, den eigentlich im Titel angedeuteten Gegenstand, weil er die Kritische Theorie durch die Optik der kanonisierten Orthodoxie betrachtet: sonst wäre es ihm nicht entgangen, daß Horkheimer unmöglich, wie Marramao es ihm unterstellt, mit »Wissenschaft« ein Synonym für »Politische Ökonomie« hätte meinen können (S. 85). Das von Marramao angeführte, in der Tat den Nerv treffende Pollock Zitat aus dem ersten Band der Zeitschrift für Sozialforschung: »Ein unabweisbarer Zwang, ihn (die kapitalistische Produktionsweise– F.v.G.) durch ein anderes Wirtschaftssystem zu ersetzen, besteht rein wirtschaftlich nicht« (S. 83) könnte, im Hinblick auf die spätere Entwicklung der Frankfurter Schule, doch auch im Sinne einer kritischen Rückfrage an die Orthodoxie gelesen werden: ob die Marxschen Kategorien überhaupt ausreichen, das »Wesen« der kapitalistischen Krise zu erfassen? Eine Schlüsselstellung würde diesem Satz dann deshalb zukommen, weil er das schwierige Programm einer Rekonzeptualisierung der von Marx vorgeschlagenen »Synthesis« von Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Politik (überhaupt die vorsichtige Distanzierung von Marx) inaugurieren würde und nicht, wie Marramao ihn liest, als Bestätigung dafür zu gelten hätte, daß die orthodoxe Frage nach dem Ausbleiben des von der Theorie vorausgesagten Klassenbewußtseins ihre Aktualität zurückerhalten hätte. Vgl. auch: Helmut Dubiel: »Kritische Theorie und Politische Ökonomie« in: Pollock: Stadien des Kapitalismus.

[32] »Marx hat in der Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie von '57 begründet, in welchem Sinne die Kategorie der Arbeit ein universaler, auf alle Gesellschaften anwendbarer Begriff ist. [...] Methodisch in derselben Weise müßte man auch bei einer solchen Kommunikationstheorie klarmachen, wie die Entwicklung zum Spätkapitalismus objektiv die Bedingungen dafür erfüllt hat, daß wir erkennen können, daß in den Strukturen sprachlicher Verständigung Universalien stecken, die sogar die Maßstäbe für eine geschichtsphilosophisch nicht mehr zu begründende Kritik hergeben.« Habermas: »Dialektik der Rationalisierung«. (Interview mit Honneth, Knödler Bunte, Widmann, Ästhetik und Kommunikation, 45/46.)

[33] Vgl. die 1971 geschriebene Einleitung zur Theorie und Praxis: S. 9 ff. (Jetzt 1985 auch: Habermas: »Die Neue Unübersichtlichkeit – Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien.« Merkur, 1985, vol. 1.)

[34] ND 33 ff.: »Doppelcharakter des Systems«.

[35] Vgl. Klaus Eder: Die Entstehung staatlich organisierter Gesellschaften. Ein Beitrag zu einer Theorie sozialer Evolution, Frankfurt a. M., 1976.

[36] Hans Ulrich Wehler: Evolution und Geschichte (Sonderband: Geschichte und Gesellschaft. Jg.2, H.3, 1976); ders.: Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung. Göttingen, 1980; Walter Schulz: »Zur Revision der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft« in: (ders.): Philosophie in der veränderten Welt; Rainer Döbert: »Die methodologischen Implikationen von evolutionstheoretischen Konstruktionen« in: Gerber and Bosch (Hrsg.): Geschichte als Überlieferung und Konstitution (Loccumer Kolloquien: 4), 1976; (ders.): Systemtheorie und die Entwicklung religiöser Deutungssysteme. Zur Logik des sozialwissenschaftlichen Funktionalismus, Frankfurt a. M., 1973; Klaus Eder: (1973) »Komplexität, Evolution, und Geschichte« in: Maciejewski (Hrsg.): Beiträge zur Habermas Luhmann Diskussion No.1; (ders.): »Zum Problem der logischen Periodisierung von Produktionsweisen. Ein Beitrag zu einer evolutionstheoretischen Rekonstruktion des Historischen Materialismus«, in: Jaeggi und Honneth: Theorien des Historischen Materialismus; (ders.): »Zwischenbericht zu Logik und Mechanismen der sozialen Evolution« (Starnberg: unveröffentlichtes Ms.).

[37] Habermas: »Was heißt Universalpragmatik?«; auch »Wahrheitstheorien«. Dagegen: K. O. Apel (1976): »Das Problem der philosophischen Letztbegründung im Lichte einer transzendentalen Sprachpragmatik« in: B. Kanitschneider (Hrsg.) Sprache und Erkenntnis, Innsbruck.

[38] Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hrsg. von Eva (Michel ) Moldenhauer u. Karl Marcus Michel, Frankfurt a. M., 1970, S. 39. Wird als »Ph.d.G.« zitiert.

[39] Adorno: ND 174.

[40] Ibid: 205.

[41] Vgl. Schnädelbach, RuD S. 13.

[42] Vgl. TkH Bd. 1 »Erste Zwischenbetrachtung«, S. 367 ff.

[43] Vgl. Walter Schulz: »Verwissenschaftlichung«: Teil I seiner Philosophie in der veränderten Welt, S. 17 ff.

[44] Karl Löwith: Einleitung zu Feuerbachs Sämtliche Werke, Stuttgart, 1911 (Hrsg. von Wilhelm Bodin und Friedrich Jodl) Bd. 1, S. XXV.

[45] und d.h. die Marxschen Frühschriften allesamt: die Kritik der Hegelschen Dialektik und Philosophie überhaupt, Deutsche Ideologie, Heilige Familie, auch die methodologischen Erwägungen in Grundrisse der politischen Ökonomie.

[46] Ich denke hier an jene Studien, die eine Art mikrosoziologisches und sozialpsychologisches Pendant zu der erkenntnistheoretischen und konstitutionstheoretischen Debatte im engeren Sinne (Erklären/Verstehen, Kausalität/Erklären) bilden, und die zum Teil durch Habermas' »Universalpragmatik« Aufsätze angeregt wurden. Vgl. jetzt Edelstein und Habermas (Hrsg.): Soziale Interaktion und soziales Verstehen, Frankfurt a. M., 1984; auch Max Miller: Zur Logik der frühkindlichen Sprachentwicklung, Stuttgart, 1976.

[47] Vgl. die Bemerkungen von Hauke Brunkhorst: [in: »Kommunikative Vernunft und rächende Gewalt«. Sozialwissenschaftliche Literatur Rundschau, 8/9. Neuwied, 1983. (Luchterhand)]: »In dieser Lage, in der wir das Scheitern der überschwenglichen revolutionären Hoffnungen nüchtern eingestehen müssen und zugleich evident zu sein scheint, daß die von Marx bis Adorno geübte Kritik an den 'Verhältnissen' und am 'Weltlauf' unvermindert gültig ist, droht der praktisch bedeutsame zeitdiagnostische Gehalt der Kritischen Theorie sich in genau dem Maß zu verflüchtigen, wie es nicht gelingt, den Marxismus auf dem Boden der neuen Wissenschaften, der Phänomenologie und der Hermeneutik, der linguistischen Philosophie und der Sozialforschung als deren immanente Kritik zu etablieren. Das ist das Programm von Jürgen Habermas. Erst der Erfolg dieses wissenschaftlichen Programms könnte am Ende wieder zu jenen 'überzeugenden Analysen' führen, die einst den theoretischen Marxismus zu einer praktischen 'Waffe der Kritik' werden ließen. Nach dem kläglichen Scheitern der orthodoxen Regression in den 70er Jahren ist diese Waffe mittlerweile für jeden sichtbar stumpf geworden. Innerhalb des Habermasschen Programms nimmt die Sozialwissenschaft, insbesondere die Soziologie eine Schlüsselstellung ein. Bevor Habermas jedoch daran gehen konnte, die sozialwissenschaftliche Kernstruktur der Kritischen Theorie auszuarbeiten und damit direkt an das Programm der frühen Kritischen Theorie anzuknüpfen, mußte er versuchen, die hermeneutischen und linguistischen Voraussetzungen dieses Programms reflexiv einzuholen, um die Idee eines konsequent sozialwissenschaftlichen Marxismus nicht ein zweites Mal bereits im Vorfeld der philosophischen Prämissen scheitern zu lassen.«

[48] Die philosophiegeschichtliche (statt systematische) Verarbeitung des Dialektikproblems hat andere Vorteile. Die Erinnerung daran, daß die Konstellation philosophische Aufklärung/wissenschaftliche Analyse während der Gründerzeit noch als integraler Bestandteil einer politischen Bewegung verstanden wurde, soll die jetzige »Preisgabe des revolutionären Subjekts« (Theunissen) und die Verlagerung aus der Politik »in das Schattenreich methodologische(r) Abstraktionen« (Wellmer) pointieren; Studien wie Global 2000 sind eine unangenehme Erinnerung daran, daß Motive, die vor hundert Jahren auf politische Auseinandersetzung gedrängt haben, keineswegs hinfällig geworden sind. Der Historische Materialismus war in seiner ursprünglichen Intention eher nüchterne politische Diagnostik als unverbindliche Weltanschauung und schon gar nicht eine akademische Soziologie. Andererseits ermöglicht ein philosophiegeschichtlicher Zugang zum 'Dialektikproblem' die Thematisierung eines Topos, der von der modernen Sozialwissenschaft kategorial ausgeblendet, von der marxistischen Orthodoxie verketzert wird und der doch etwas ganz Anderes ist als ein praxisferner 'Idealismus': der Marxsche Praxisbegriff ist verworren; auf sozialwissenschaftlichem und politischem Terrain wiederholen sich identitätsphilosophische Antinomien, die um so verhängnisvoller geworden sind, als es sich jetzt nicht mehr um ein philosophisches Paradoxon, sondern um offiziell empfohlene Befreiungsideologien handelt.

[49] MEW: Ergänzungsband. Schriften bis 1844. S. 574.

[50] »Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.« Marx: Nachwort zur zweiten Auflage des Kapitals, MEW Bd. 23, S. 27.

[51] »Wir sehn hier, wie der durchgeführte Naturalismus oder Humanismus sich sowohl von dem Idealismus als dem Materialismus unterscheidet und zugleich ihre beide vereinigende Wahrheit ist. Wir sehn zugleich, wie nur der Naturalismus fähig ist, den Akt der Weltgeschichte zu begreifen«. MEW: Schriften bis 1844, S. 577. Die entsprechende Feuerbach These lautet: »Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen mit eingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis; nicht subjektiv. Daher die tätige Seite abstrakt im Gegensatz zu dem Materialismus von dem Idealismus – der natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt – entwickelt.« MEW Bd. 3, S. 5.

[52] MEW: Ergänzungsband – Schriften bis 1844, S. 570.

[53] »Da, wo die Spekulation aufhört, beim wirklichen Leben, beginnt also die wirkliche, positive Wissenschaft, die Darstellung der praktischen Betätigung, des praktischen Entwicklungsprozesses der Menschen. Die Phrasen vom Bewußtsein hören auf, wirkliches Wissen muß an ihre Stelle treten. Die selbständige Philosophie verliert mit der Darstellung der Wirklichkeit ihr Existenzmedium.« Marx: MEW Bd. 3, (Deutsche Ideologie), S. 27. Vgl. auch die II. Feuerbach These und Engels' »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie«, MEW Bd. 21.

[54] MEW Bd. 13, S. 471 und S. 470. Weiter unten wird von »eine(r) systematische(n) Zusammenfassung des gesamten Komplexes der ökonomischen Wissenschaft[...]« gesprochen. (S. 472) Ähnliche Formulierungen in seinen Rezensionen vom November 1867 (»wissenschaftliche Schrift« heißt es dort, Bd. 16, S. 216) und Dezember 1867 (»eine direkte Bereicherung der Wissenschaft« Bd. 16 S. 226) und vor allem – und das in extenso – im Anti Dühring.

[55] Vgl. Lukács: »Über Bucharins 'Theorie des historischen Materialismus'« Wiederabdruck: Oskar Negt (Hrsg.): Nikolai Bucharin, Abram Deborin: Kontroversen über dialektischen und mechanistischen Materialismus, Frankfurt a. M., 1974. Stellenweise ist Bucharin von der gegenwärtigen Systemtheorie – wie z.B. von Boulding, Bertalanffey, Rappoport vertreten – kaum zu unterscheiden: »Jedes beliebige Ding – sei es ein Stein, ein Lebewesen, eine menschliche Gesellschaft oder sonst was – können wir als etwas Ganzes betrachten, das aus miteinander verbundenen Teilen (Elementen) besteht; mit anderen Worten, wir können dieses Ganze als System betrachten. Ein jedes solches Ding (System) besteht nicht im leeren Raum; es wird von anderen Elementen der Natur umgeben, die man ihm gegenüber als Milieu oder Umwelt bezeichnet. Für den Baum im Walde bilden das Milieu alle übrigen Bäume, die Bächlein, die Erde, die Farnkräuter, das Gras, das Gebüsch und alles übrige mit allen Eigenschaften.« (S. 231 und passim. in Negt., op. cit.) Mit anderen Worten: hier hat das philosophisch dialektische Moment der Negation alles Innerweltlichen sich vollends verflüchtigt, um stattdessen die abstrakten Formalismen eines »systems everywhere« Denkens – das, was Horkheimer als 'instrumentelle Vernunft' kritisierte – zu hinterlassen. (Vgl. etwa von Bertalanffey: General Systems Theory, insb. S. 1 ff.)

[56] Wellmer: KGP, S. 77 ff: »Die Einheit von historischem Materialismus und Kritik der politischen Ökonomie in der Marxschen Gesellschaftstheorie ist in sich widerspruchsvoll. Insbesondere legen die Grundannahmen der Marxschen Geschichtskonstruktion im Widerspruch zum ideologiekritischen Ansatz der Theorie ein 'objektivistisches' Revolutionskonzept in einem doppelten Sinne nahe; auf der einen Seite determinieren sie die revolutionäre Funktion der kritischen Theorie als die einer postideologischen, 'positiven' Wissenschaft, auf der anderen Seite führen sie zur Verschleierung der Differenz zwischen der unvermeidlichen und der praktisch notwendigen Transformation der kapitalistischen Gesellschaft und lassen daher den Übergang zur klassenlosen Gesellschaft als zwangsläufiges Resultat der Lösung der kapitalistischen Systemprobleme erscheinen. Wenn diese These richtig ist, dann können sich zwei praktisch folgenreiche Mißverständnisse der Marxschen Theorie auf einen in dieser Theorie selbst mehr oder weniger latent vorhandenen theoretischen Zusammenhang berufen; ich möchte sie das 'technokratische' und das 'evolutionistische' Mißverständnis nennen. Dem ersten Mißverstandnis zufolge müßte sich der Sozialismus – unter bestimmten historischen Ausgangsbedingungen – durch eine entschlossene, theoretisch geschulte und autoritär regierende revolutionäre Minderheit verwirklichen lassen; dem zweiten Mißverständnis zufolge müßte er das zwangsläufige Resultat der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft sein. In Wirklichkeit handelt es sich, wie leicht zu sehen ist, um ein einziges, nämlich ein 'mechanistisches' Mißverständnis des historischen Materialismus, dem zufolge die Revolution zu einer bloßen Frage eines Mehr oder Weniger an historischen Unkosten angesichts eines bereits feststehenden Endresultats der Geschichte wird. Wenn aber dieses Mißverständnis sich auf einen in der Marxschen Theorie latent vorhandenen theoretischen Zusammenhang stützen kann, dann wird auch eine Metakritik an Marx' Kritik des politischen Moralismus fällig; jedenfalls insoweit diese Kritik, die ja Junghegelianer, Frühsozialisten und Anarchisten mit gleicher Schärfe traf, sich gerade als das Resultat der Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft verstand.« (Vgl. dazu Adorno: ND 246.)

[57] Iring Fetscher: »Das Verhältnis des Marxismus zu Hegel«, in: Marxismusstudien (3. Folge, 1960), S. 82 ff. Alfred Schmidt: Emanzipatorische Sinnlichkeit, S. 40: »Wer heute auf die Bedeutung der Pariser Manuskripte verweist, setzt sich nicht länger dem Verdacht aus, er falle hinter das im Kapital Erreichte zurück. Die Frage, ob die Schriften des 'jungen' oder des 'alten' Marx wesentlicher seien, ist – so gestellt, gegenstandslos.« Daß der partei offizielle Diamat den »jungen« Marx ignoriert, hat wohl mehr als philologische Gründe. Vgl. dazu Iring Fetscher: »Von der Philosophie des Proletariats zur proletarischen Weltanschauung«, in: Marxismusstudien (2. Folge, 1957), und Ludwig Landgrebe: »Das Problem der Dialektik«, in: Marxismusstudien (3. Folge, 1960), S. 3. Auch Oskar Negt: »Marxismus als Legitimationswissenschaft. Zur Genese der stalinistischen Philosophie«. in: Nikolai Bucharin, Abram Deborin: Kontroversen über dialektischen und mechanistischen Materialismus, op. cit.

[58] »We have emphasized that Marx's dialectical conception of reality was originally motivated by the same datum as Hegel's, namely by the negative character of reality«. Reason and Revolution, S. 312. In Marcuses (von Heidegger nicht angenommener) Habilitationsschrift findet sich hierüber ein umfangreiches Kapitel: »Die unfreie Realität des Begriffs: die Objektivität«, in: (ders.) Hegels Ontologie und die Theorie der Geschichtlichkeit, Frankfurt/Main, 1968, S. 152 ff.

[59] Vgl. etwa K.R. Popper: »Holism«, in: The Poverty of Historicism. insb. S. 17 und passim. Dagegen: Habermas: »Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik«, in Adorno (Hrsg.): Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie.

[60] Hegel: WdL I, 145: »Der Idealismus der Philosophie besteht in nichts Anderem als darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes anzuerkennen. Jede Philosophie ist wesentlich Idealismus oder hat denselben wenigstens zu ihrem Prinzip [...] Eine Philosophie, welche dem endlichen Dasein als solchem wahrhaftes, letztes, absolutes Sein zuschriebe, verdiente den Namen Philosophie nicht«. Noch Horkheimer spricht von der »unaufhebbaren Spannung zwischen Begriff und Gegenstand«. (»Materialismus und Moral«, in: Kritische Theorie, Bd. 1, S. 48.)

[61] MEW Bd. 3, S. 43.

[62] Was dann die Nachdrücklichkeit und sonst kaum nachvollziehbare Emphase erklärt, womit die Begriffe 'real', 'wirklich', 'empirisch' bei Marx betont werden: »Die Voraussetzungen, mit denen wir beginnen, sind keine willkürlichen, keine Dogmen, es sind wirkliche Voraussetzungen, von denen man nur in der Einbildung abstrahieren kann. Es sind die wirklichen Individuen, ihre Aktion und ihre materiellen Lebensbedingungen, sowohl die vorgefundenen wie die durch ihre eigne Aktion erzeugten. Diese Voraussetzungen sind also auf rein empirischem Wege konstatierbar.« MEW Bd. 3. (Deutsche Ideologie) S. 20. Stärker noch in den Pariser Schriften, (ibid.) wo etwa jedes zehnte Wort 'real', 'wirklich', 'gegenständlich', 'konkret', 'sinnlich' oder ihre Derivate und Synonyma ist.

[63] »Das Wirkliche ist nicht ein Räumliches, wie es in der Mathematik betrachtet wird; mit solcher Unwirklichkeit, als die Dinge der Mathematik sind, gibt sich weder das konkrete sinnliche Anschauen noch die Philosophie ab. [...] Daß die sogenannten Beweise solcher Sätze, als der vom Gleichgewichte des Hebels, dem Verhältnisse des Raums und der Zeit in der Bewegung des Falles usf., welche sie häufig gibt, für Beweise gegeben und angenommen werden, ist selbst nur ein Beweis, wie groß das Bedürfnis des Beweisens für das Erkennen ist, weil es, wo es nicht mehr hat, auch den leeren Schein desselben achtet und eine Zufriedenheit dadurch gewinnt.« Hegel: Ph.d.G. S. 44/45.

[64] Entschieden grenzt er sich von den »selbst noch abstrakten Empirikern« ab: MEW Bd. 3, S. 27.

[65] »Alles was auf Erden, findet sich wieder im Himmel der Theologie – so auch alles was in der Natur, im Himmel der göttlichen Logik: Qualität, Quantität, Maß, Wesen, Chemismus, Mechanismus, Organismus.« (Feuerbach über Hegel, zitiert nach Alfred Schmidt: ES 101. Hervorhebung von Feuerbach.)

[66] Ein Gedanke, der als Vorwegnahme der These der restringierten Erfahrung innerhalb verabsolutierter Diskurstypen gelesen werden kann: »Von einer Akkommodation Hegels gegen Religion, Staat, etc. kann also keine Rede mehr sein, da diese Lüge die Lüge seines Prinzips ist.« Marx: Pariser Manuskripte. MEW (Ergänzungsband) S. 581.

[67] Vgl. dazu Dieter Henrich: »Durch die Philosophie der Tat Hegel aufheben konnte nur heißen, diese Philosophie als ein notwendiges Moment im Ganzen der Wirklichkeit begreifen. Mit diesem Programm ist Marx vor die Notwendigkeit gelangt, für den Gegensatz von Begriff und Welt ein anderes Subjekt als den Hegelschen Geist anzugeben, das aber die Funktion erfüllt, den Gegensatz von Bewußtsein und Wirklichkeit in sich aufzuheben.« »Karl Marx als Schüler Hegels« in: (ders.): Hegel im Kontext, Frankfurt a. M., S. 197.

[68] Wellmer beschreibt es so: »Eine solche geschichtsmaterialistisch gewendete 'Phänomenologie des Geistes' wäre weder eine im empiristischen Sinne wissenschaftliche Theorie noch eine im idealistischen Sinne philosophische Theorie; sie würde darüber hinaus sich auch nicht mit einer 'kritischen' Theorie im Sinne der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie decken – und doch würde sie Momente all dieser verschiedenen Theorietypen enthalten. Sie wäre eine materialistische Theorie, weil sie mit theoretisch nicht auflösbaren, empirisch zu erforschenden Kontingenzen rechnet, die die Ausgangssituation, die Randbedingungen und die Mechanismen sozialer Evolution bestimmen; und sie wäre eine Phänomenologie des Geistes, weil sie mit dem Faktum einer durch Sprache, also durch einen internen Bezug auf Wahrheit vermittelten Reproduktion der Gattung rechnet – dies nämlich bedeutet, die soziokulturelle Evolution an einen 'Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit' zu koppeln. Eine entsprechende, zugleich empirische, rekonstruktive und kritische Theorie existiert bis heute erst in Ansätzen; [...]« Wellmer: »Kommunikation und Emanzipation« op.cit., S. 496/7. Vgl. dazu Alfred Schmidt: »Es entsteht ein qualitativ neuer Typus von Denken, das die inzwischen vieldiskutierte 'Aufhebung der Philosophie' anstrebt. Auch in den Schriften vor der Deutschen Ideologie kritisieren Marx und Engels Hegel und die linke Hegelschule. So spricht schon eine berühmte Formel der Marxschen Doktordissertation vom 'Philosophisch Werden der Welt' und vom 'Weltlich Werden der Philosophie', davon, daß ihre Verwirklichung 'zugleich ihr Verlust' ist. Aber Philosophie als solche bleibt unangetastet. Es gilt nur, sie in den 'Dienst der Geschichte' zu stellen.« »Über Geschichte und Geschichtsschreibung in der materialistischen Dialektik«, in: Folgen einer Theorie. Essays über 'Das Kapital' von Karl Marx, Frankfurt a. M., 1972, S. 118. Habermas: »[...] was mit dem 'Materialismus' der marxistischen Kritik [...] gemeint ist: nämlich ein eigentümliches, in der traditionellen Wissenschaftstheorie unbekanntes Verhältnis von Philosophie und Ökonomie, von Kritik und Sozialwissenschaften.« (LpD 415)

[69] Gewissermaßen – einem Satz von Adorno zufolge – dem »Ursprung des Ichs im Nichtich« nachgehen. (zitiert nach Alfred Schmidt ES, S. 92.) Die Analogie zu (oder die Vorwegnahme von) Freud und der Psychoanalyse kommt natürlich nicht von ungefähr, kann aber hier nicht weiter verfolgt werden. Dazu: Herbert Marcuse: Eros and civilization. London, 1969; und Helmut Dahmer: Libido und Gesellschaft; Studien über Freud und die Freudsche Linke. Frankfurt a. M., 1973.

[70] Lutz Bachmann bringt es auf die Formel: entweder muß man für die Hegelsche Geistesmetaphysik optieren oder für den Historismus; entweder ist die Menschengeschichte 'vernünftig' im Sinne Hegels, oder sie ist eine sinnlose Anhäufung von Fakten, die keine inhärente Gesetzmäßigkeit erkennen läßt: »Marx stehen weder eine identitätsphilosophische noch eine materialistische 'prima philosophia' und deren ontologische Sicherung des begrifflichen Erkenntnisinstrumentariums zur Verfügung. Da er nun aber angesichts der in dieser Situation drohenden Gefahr eines in seinen Auswirkungen relativistisch agnostischen Historismus nicht wie andere Philosophen aus der Geschichte heraus und in den Mythos als deren Widerpart hineinspringt, muß die Frage gestellt werden, woher Marx die argumentative Kraft für die Begründung seiner Konzeption des Historischen Materialismus bezieht.« (»Marx und Kant«, S. 81.). Daraus schließt er, daß Marx im Grunde genommen eigentlich Kantianer war, und zwar im folgenden Sinne: 'an sich' ist die Welt sinnlos, es kommt auf die 'sinnstiftende Spontaneität' der Menschen selbst an. »Entgegen der Hegelschen Geschichtsinterpretation hat die Geschichte für Marx und Kant 'an sich' keinen Sinn. Doch dies gilt nur solange, als die handelnden Menschen der Geschichte nicht selbst Sinn, Zweck und Inhalt geben, den sie praktisch bewähren müssen. Dies verbindet Marx mit Kant gegen den geschichtswissenschaftlichen Positivismus und historistisch argumentierenden Relativismus der bürgerlichen Geschichtswissenschaft.« (S. 83.) Für diese Interpretation spricht aber nur solange eine gewisse Plausibilität, als man von der onto theologischen Frage nach dem 'Sinn von Sein' sich leiten läßt, solange man wissen will, ob Marx nun Agnostiker sei oder nicht. Wie fundamental anders die Frage nach 'Identitätsstiftung' ausfällt, wenn sie empirisch (und nicht spekulativ) gestellt wird, zeigen die Untersuchungen, die heutzutage entweder materialistische Sozialisationstheorie oder materialistische Evolutionstheorie genannt werden. Daran ließe sich zeigen, daß die geschichtsphilosophische Frage – entweder Hegelsche Geistesmetaphysik oder Historismus – seinen Sinn verliert, sobald der Identitätsbegriff aus seinem philosophisch spekulativen Rahmen losgelöst wird.

[71] Schnädelbach RuD: »Zur These von der Bereichsdifferenz: die 'epoche'«. S. 187.

[72] Vgl. Alfred Schmidt: ES S. 91.

[73] Das hier nur angestreifte Problem der Differenz von philosophischem und historischem Materialismus und die daran sich anschließende (Pariser) Streitfrage: »Dürfen wir heute, unter den gegebenen Umständen, ebenso von einer Dialektik der Natur sprechen, wie wir von einer Dialektik der Geschichte sprechen können?« (Sartre: Existentialismus und Marxismus S. 17) möchte ich auf sich beruhen lassen. (Vgl. dazu: Alfred Schmidt BNLM, besonders Kapitel 1: »Karl Marx und der philosophische Materialismus« und »Zum Verhältnis von Geschichte und Natur im Dialektischen Materialismus«). Aussichtsreicher kommen mir eher die Diskussionslinien vor, die sich immanent an Debatten innerhalb der empirischen Wissenschaften anschließen, wie objektivistisch unreflektiert sie auch immer vom philosophischen Standpunkt her anmuten mögen. (Es ist aber nicht uninteressant, daß Adorno in dem Begriffspaar: Dialektik der Geschichte/Dialektik der Natur keineswegs ein Fundamentum in re erblickte: »So wenig Dialektik auf Natur als universales Erklärungsprinzip auszudehnen ist, so wenig doch sind zweierlei Wahrheiten nebeneinander aufzurichten, die dialektische innergesellschaftlich und eine gegen sie indifferente. Die an der Einteilung der Wissenschaften orientierte Trennung von gesellschaftlichem und außergesellschaftlichem Sein täuscht darüber, daß in der heteronomen Geschichte blinde Naturwüchsigkeit sich perpetuiert.« ND 145.)

[74] Vgl. dazu: Michael Theunissen: Die Verwirklichung der Vernunft. Zur Theorie Praxis Diskussion im Anschluß an Hegel. Philosophische Rundschau. (Tübingen), Beiheft 6, 1970.

[75] Ph.d.G., 50.

[76] ibid., S. 53.

[77] »Das Instrument dieses gleichtönigen Formalismus ist nicht schwerer zu handhaben als die Palette eines Malers, auf der sich nur zwei Farben befinden würden, etwa Rot und Grün, um mit jener eine Fläche anzufärben, wenn ein historisches Stück, mit dieser, wenn eine Landschaft verlangt wäre. – Es würde schwer zu entscheiden sein, was dabei größer ist, die Behaglichkeit, mit der alles, was im Himmel, auf Erden und unter der Erden ist, mit solcher Farbenbrühe angetüncht wird, oder die Einbildung auf die Vortrefflichkeit dieses Universalmittels; die eine unterstützt die andere.« Hegel: Ph.d.G. 50. Einer treffenden Formulierung von Adorno zufolge: »Was am Objekt dessen vom Denken ihm auferlegte Bestimmungen übersteigt, kehrt es dem Subjekt erst einmal als Unmittelbares zu [...]« (ND 49)

[78] MEW (Ergänzungsband), S. 569.

[79] sie ist »nichts andres [...] als die in Gedanken gebrachte und denkend ausgeführte Religion [...]« ibid.

[80] Schnädelbach: RuD S. 9 ff.

[81] »Der Philosoph muß das im Menschen, was nicht philosophiert, was vielmehr gegen die Philosophie ist, dem abstrakten Denken opponiert, das also, was bei Hegel zur Anmerkung herabgesetzt ist, in den Text der Philosophie aufnehmen.« Feuerbach, zitiert nach Karl Löwiths Einleitung zu Feuerbachs Sämtliche Werke, S. XVI.

[82] Vgl. Schnädelbach: »Was ist Ideologie?« in: Das Argument, (Studienheft 26) Berlin, 1979, S. 85. Daß diese 'zweite Aufklärung' eine antike Vorgeschichte hat, daran erinnert allerdings Ernst Bloch: Antike Philosophie, S. 166 f.

[83] In Habermas' Terminologie: ein Rationalitätskomplex mit einer bestimmten Funktion.

[84] Das macht sich allerdings erst dann bemerkbar, wenn der Blick (z.B. durch die scharfsinnigen Analysen von Lukács, Korsch und den 'Frankfurter' Theoretikern), für die Mehrdeutigkeit der Marxschen Begriffsbildung sensibilisiert worden ist. Dann liest sich etwa folgender locus classicus (den ich Fetschers »Das Verhältnis des Marxismus zu Hegel« entnehme) nicht länger 'rein ökonomisch': »Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. Wir haben es hier nicht mit den ersten tierartig instinktmäßigen Formen der Arbeit zu tun. Dem Zustand, worin der Arbeiter als Verkäufer seiner eignen Arbeitskraft auf dem Warenmarkt auftritt, ist in urzeitlichem Hintergrund der Zustand entrückt, worin die menschliche Arbeit ihre erste instinktartige Form noch nicht abgestreift hatte. Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muß.« (MEW 23, Kapital I, Abschnitt 3, »Die Produktion des absoluten Mehrwerts«, Kapitel 5, »Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß«, S. 192 f.). 'Stoffwechsel mit der Natur', 'Arbeitsprozeß', 'Formänderung des Natürlichen' – das sind gegenstandbezogene Begriffe, die daran erinnern, daß es der 'reife' Marx, der empirisch verfahrende Sozialwissenschaftler ist, der hier zu Wort kommt und nicht der linkshegelianisch angetane Verfasser der Deutschen Ideologie. Und dennoch: die Marxphilologie hat gezeigt, daß es sich hier auch um eine zweite, sozusagen 'Hegelsche' Bedeutungsschicht handelt. Daß 'der Mensch' seine 'eigne Natur' im Arbeitsprozeß 'verändert', wie Marx sich hier ausdrückt, ist nicht physiologisch oder gar ökologisch zu deuten, sondern im Sinne seiner geschichtsphilosophischen These einer wechselseitigen Vermittlung von 'Basis' und 'Überbau' im Geschichtsprozeß. Wirklich real – sozusagen das ens realissimum bei Marx – ist einzig jene geschichtlich dialektische 'Wechselwirkung' von Weltbildern und dem realen Geschichtsprozeß, die im Bewußtsein des Proletariats kulminieren soll, um sich dann durch die selbstbewußte 'Tathandlung' eben dieses Proletariats zu 'verwirklichen'. Auf diesem Umweg kehren dann doch noch philosophische und erkenntnistheoretische Fragen wieder und das gerade dort, wo Marx am 'wissenschaftlichsten' ist.

[85] Vgl. Schnädelbach: RuD, S. 20/21. Auch Ludwig Landgrebe: »Das Problem der Dialektik« in: Marxismusstudien, 3. Folge, 1960, S. 13 ff.

[86] Vgl. Habermas: »Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden?« S. 35 f.

[87] Schulz: PvW. S. 248. (Vgl. 2. Teil: »Verinnerlichung«. S. 248 ff.) Auch für Horkheimer ist »Verinnerlichung« ein wesentlicher Begriff: Vgl. »Aufstieg und Niedergang des Individuums«, in: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, S. 132 ff.

[88] Schnädelbach: RuD S. 67.

[89] »Wer Hegel verstehen will, ist noch immer mit sich allein«. Dieter Henrich: Hegel im Kontext. S. 7. Auch Adorno: »Skoteinos oder wie zu lesen sei«, in: Drei Studien zu Hegel, S. 326 ff.

[90] Ernst Bloch: »Hegel und der Empirismus«, in: Subjekt Objekt. Erläuterungen zu Hegel, Frankfurt a. M., 1977, S. 109.

[91] Bei Marcuse liest sich das so: »In der Objektivität ist [...] die Negativität verschwunden: im Objekt ist jede Bestimmtheit schon unmittelbar Selbstbestimmung, jede Faktizität schon unmittelbar Gesetztsein. Damit ist aber verschwunden, was von Anfang an als das eigentliche Wesen des Begriffs galt: die Freiheit; denn diese unmittelbare Einheit von Ansichsein und Dasein schließt Freiheit notwendig aus. Freiheit ist nur möglich in einem freien Gegenüberstehen, in einem Gegeneinander von 'Sein und Sollen'; wo Freiheit ist, muß etwas da sein, was sich von sich aus der freien Bestimmbarkeit entzieht, erst in diese hineingezogen werden muß. Das 'freie Fürsichsein' des Begriffs ist nur dann möglich, wenn die 'Unmittelbarkeit das gegen ihn Negative und durch seine Tätigkeit zu Bestimmende wird'. [...] Und weil gerade diese Freiheit das Wesen des Begriffs als Subjektivität ausmacht, sagt Hegel, daß in der Objektivität die 'Subjektivität' des Begriffs überhaupt verschwunden ist, obwohl 'an sich' die Objektivität ein Dasein des Begriffs, also 'an sich' ein 'begreifendes' Dasein ist.« (Hegels Ontologie, op. cit., S. 156.)

[92] Vor allem Lukács hat die Hegelsche Verstand/Vernunft Unterscheidung als dialektische Kritik am bürgerlichen Wissenschaftsideal rezipiert, um sie damit in die politischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts zu integrieren; Hegel gegen Marx ausspielend, die verschüttete Dimension des »existentialistischen« Marx wiederentdeckend, gelang es ihm und Korsch, den Marxschen Ideologiebegriff von der Kritik der bürgerlichen Ökonomie auf die Kritik der bürgerlichen Wissenschaft insgesamt auszuweiten. Textstellen wie die folgende können nun mit einiger Plausibilität als Vorwegnahme der Positivismuskritik aufgefaßt werden: »Die Wissenschaft darf sich nur durch das eigene Leben des Begriffs organisieren; in ihr ist die Bestimmtheit, welche aus dem Schema äußerlich dem Dasein aufgeklebt wird, die sich selbst bewegende Seele des erfüllten Inhalts. Die Bewegung des Seienden ist, sich einesteils ein Anderes und so zu seinem immanenten Inhalte zu werden; andernteils nimmt es diese Entfaltung oder dies sein Dasein in sich zurück, d.h. macht sich selbst zu einem Momente und vereinfacht sich zur Bestimmtheit. In jener Bewegung ist die Negativität das Unterscheiden und das Setzen des Daseins; in diesem Zurückgehen in sich ist das Werden der bestimmten Einfachheit. Auf diese Weise ist es, daß der Inhalt seine Bestimmtheit nicht von einem anderen empfangen und aufgeheftet zeigt, sondern er gibt sie sich selbst und rangiert sich aus sich zum Momente und zu einer Stelle des Ganzen. Der tabellarische Verstand behält für sich die Notwendigkeit und den Begriff des Inhalts, das, was das Konkrete, die Wirklichkeit und lebendige Bewegung der Sache ausmacht, die er rangiert, oder vielmehr behält er dies nicht für sich, sondern kennt es nicht; denn wenn er diese Einsicht hätte, würde er sie wohl zeigen. Er kennt nicht einmal das Bedürfnis derselben; sonst würde er sein Schematisieren unterlassen oder wenigstens sich nicht mehr damit wissen als mit einer Inhaltsanzeige; er gibt nur die Inhaltsanzeige, den Inhalt selbst aber liefert er nicht. – Wenn die Bestimmtheit, auch eine solche wie z.B. Magnetismus, eine an sich konkrete oder wirkliche ist, so ist sie doch zu etwas Totem herabgesunken, da sie von einem anderen Dasein nur prädiziert und nicht als immanentes Leben dieses Daseins, oder wie sie in diesem ihre einheimische und eigentümliche Selbsterzeugung und Darstellung hat, erkannt ist. Diese Hauptsache hinzuzufügen, überläßt der formelle Verstand den anderen. – Statt in den immanenten Inhalt der Sache einzugehen, übersieht er immer das Ganze und steht über dem einzelnen Dasein, von dem er spricht, d.h. er sieht es gar nicht.« Hegel: Ph.d.G. S. 51/52.

[93] Vgl., als neuesten Beitrag zur Kritizismus Dialektik Debatte: Carl Braun: Kritische Theorie versus Kritizismus, Berlin und New York, 1983.

[94] ibid., S. 52.

[95] »[...] absoluter Durchdringung der Individualität und des Seins[...]« Ph.d.G., S. 300. Vgl. DA 228: »Sie ist vermittelte Unmittelbarkeit, Gedanke in der verführerischen Kraft der Sinnlichkeit [...] Indem der Gedanke im Gang der Erkenntnis die in der Wahrnehmung unmittelbar gesetzten und daher zwingenden Begriffsmomente als begriffliche identifiziert, nimmt er sie stufenweise ins Subjekt zurück und entkleidet sie der anschaulichen Gewalt. In solchem Gange erweist sich jede frühere Stufe, auch die der Wissenschaft, gegenüber der Philosophie noch gleichsam als Wahrnehmung, als ein mit unerkannten intellektuellen Elementen durchsetztes, entfremdetes Phänomen; dabei zu verharren, ohne Negation, gehört der Pathologie der Erkenntnis zu.«

[96] Die methodologischen Vorüberlegungen zu den »Grundrissen« – als Selbstverständigung des Autors des Kapitals zu verstehen – zeugen noch von der Intention, die »Subjektseite« auch innerhalb des reifen Systems gelten zu lassen. Er faßt aber die beiden Bewegungen (Begriffsbildung in den theoretischen Wissenschaften; Begriffsbildung in den praktisch rekonstruktiven Wissenschaften) als logisch und nicht psychologisch auf; das hindert ihn daran, Begriffsbildung als die empirische Tätigkeit eines empirischen Ichs zu untersuchen, das sich den biologischen Imperativen der Selbsterhaltung fügen muß: »Sobald diese einzelnen Momente mehr oder weniger fixiert und abstrahiert waren, begannen die ökonomischen Systeme, die von dem Einfachen, wie Arbeit, Teilung der Arbeit, Bedürfnis, Tauschwert aufstiegen bis zum Staat, Austausch der Nationen, und Weltmarkt. Das letztre ist offenbar die wissenschaftlich richtige Methode. Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozeß der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und Vorstellung ist. Im ersten Weg wurde die volle Vorstellung zu abstrakter Bestimmung verflüchtigt; im zweiten führen die abstrakten Bestimmungen zur Reproduktion des Konkreten im Weg des Denkens. Hegel geriet daher auf die Illusion, das Reale als Resultat des sich in sich zusammenfassenden, in sich vertiefenden und aus sich selbst sich bewegenden Denkens zu fassen, während die Methode vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen, nur die Art für das Denken ist, sich das Konkrete anzueignen, es als ein geistig Konkretes zu reproduzieren. Keineswegs aber der Entstehungsprozeß des Konkreten selbst.« MEW (Grundrisse), S. 21/22. (Vgl. dazu Ph.d.G. 449.)

[97] Vgl. dazu Adorno: »Ohne das Moment subjektiver Reflexion wäre jeglicher Begriff von Dialektik nichtig; was nicht in sich reflektiert ist, kennt nicht den Widerspruch, und die Perversion des dialektischen Materialismus zur russischen Staatsreligion und positiven Ideologie beruht theoretisch auf der Verleumdung jenes Elements als idealistisch«. (MdE 35)

[98] Vgl. G. Krüger: Die Herkunft des philosophischen Selbstbewußtseins, Darmstadt, 1962. S. 1 ff.

[99] Vgl. dazu Karl Heinz Haag: Der Fortschritt in der Philosophie, Frankfurt a. M., 1983, S. 109

[100] Dazu: Horkheimer: »Aufstieg und Niedergang des Individuums«, op. cit., S. 124.; Adorno: »Dummer August«, in: Minima Moralia.

[101] Schnädelbach: RuD; Krüger: Herkunft [...] op. cit.; Schulz: PvW, op. cit.

[102] Schulz: PvW 249.

[103] dazu: Albrecht Wellmer: Methodologie als Erkenntnistheorie, Frankfurt a. M., 1967.

[104] a.a.O. S. 248.

[105] Dazu: Rainer Döbert: »Methodologische und forschungsstrategische Implikationen von evolutionstheoretischen Stadienmodellen.«, in: Urs Jaeggi und Axel Honneth (Hrsg.): Theorien des Historischen Materialismus. Vor allem die Tabelle auf S. 534/535.

[106] von Schnädelbach »paradigmatischer Reflexionsakt« genannt: RuD 26.

[107] In Krügers Arbeit kommt das z.B. klar heraus: hier ist »die Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins« in dem übertragenen, geschichtsphilosophischen Sinne gerade ausgeschlossen: »Der Zweifel ist für Descartes die ursprüngliche, maßgebende Reflexion, weil er den modernen Grund der Philosophie erst zu legen hat. Sinn des Zweifels ist, im ernstlichen Bruche mit der Tradition, d.h. aber in einer Situation absoluter geistiger Bodenlosigkeit, festen Grund zu gewinnen. Descartes befindet sich in der Gefahr des Chaos: er ist mit seiner ganzen geistigen Habe unterwegs.« ibid., S. 15. Dazu: Schnädelbach: RuD S. 85.

[108] Schulz: PvW S. 249. »Es gilt [...] die Weite des Begriffes der Verinnerlichung positiv zu werten, das heißt zu erkennen, daß Verinnerlichung einen allgemeinen Grundzug der abendländischen Geistesgeschichte darstellt. Die Intention, das welthafte Gebundensein abzuwerten und im Inneren die eigentliche Welt aufzubauen, ist dem christlichen Denken entsprungen, und von hier aus hat sie sich als maßgebende Tendenz in der gesamten abendländischen Geistesgeschichte durchgesetzt. [...] Nicht nur die christliche Philosophie, wie sie in Augustins Denken zutage tritt, oder die cartesianische Philosophie der Subjektivität, auch Kants transzendentalphilosophischer Ansatz und die aus ihm erwachsene spekulative Philosophie des Deutschen Idealismus unterstehen dem Prinzip der Innerlichkeit.«

[109] Horkheimer: »Im Hinblick auf die Idee des Individuums besteht zwischen der Reformation und der philosophischen Aufklärung eine auffallende Parallelität«. »Aufstieg [...]« op. cit., S. 132. Vgl. auch Johannes Schlageter: »Theorie und Praxis der Gesellschaftskritik in der kritischen Theorie der 'Frankfurter Schule', besonders bei Jürgen Habermas. Eine Nachfrage aus theologischem Interesse«. in: Franziskanische Studien, (Münster). Jg. 61 (1979), S. 149.

[110] »Aufstieg[...]«, S. 131. (Ähnliche Bemerkungen über Hamlet als 'erstes Individuum' bei Adorno: ND 363.)

[111] dazu: Herbert Marcuse, Alfred Schmidt: Existentialistische Marxinterpretation, Frankfurt a. M., 1973.

[112] dazu Herbert Schnädelbach: Erfahrung, Begründung und Reflexion. Versuch über den Positivismus, Frankfurt a. M., 1971.

[113] Vgl. Adorno: »The 'Conventional' Syndrome« in: (Adorno et al): Authoritarian Personality, S. 756. Auch ND 336/7: »Individualität und Geschichte«. Adorno sieht die Reflexionsdimension schon von Hegel unterminiert. (Vgl. ND 319 ff.: »Hegels Parteinahme fürs Allgemeine«.)

[114] Hegel: Ph.d.G. 302. Adorno: ND 336: »Leidenschaft, für Hegel wie für Balzac der Motor von Individualität.« Vgl. auch Adorno: Ästhetische Theorie, S. 384/385.

[115] Zwischen Individuum und Kollektivität tritt bei Hegel die allmächtige Instanz des Absoluten Geistes: solange die Vergewisserung des Transzendentalen noch Sache des Einzelnen ist, kann das Subjekt sein unkonventionelles Denken oder Handeln nötigenfalls als Ratschlag Gottes (säkularisiert: als Handeln nach absolut gesetzten oder formal gültigen moralischen Prinzipien) begründen. »Das Selbstbewußtsein weiß die Pflicht als das absolute Wesen; es ist nur durch sie gebunden, und diese Substanz ist sein eigenes reines Bewußtsein [...]« (Ph.d.G. 442) Wird das Subjekt nun als Kollektivsubjekt aufgefaßt ('Klasse', 'Proletariat'), dann kommt für das Individuum die Theorie für diese Zwecke (Abgrenzung gegenüber der Bezugsgruppe) nicht mehr in Betracht: die Theorie kann es allenfalls über seine wahre Gruppenzugehörigkeit und deren Funktion im Evolutionsprozeß aufklären, fungiert aber nicht mehr als Schild und Appellationsinstanz gegen jene. Vgl. Adorno: AT 365: »Erschüttertes Ich« versus die Schwächung des Ichs.

[116] MEW Bd 3, S. 43. Diese Frage: wie es im einzelnen bei Marx mit der Kritik an der sinnlichen Gewißheit bestellt ist, trifft deshalb einen so empfindlichen Punkt, weil dies die Stelle ist, wo er dem klassischen und nie gelösten Materialismus Idealismus Streit gegenüber Farbe bekennen muß. Ist die Welt 'objektiv' so beschaffen, wie sie sich unseren Sinnen darbietet? Das klassisch materialistische Credo, das diese Frage bejaht, verneint Marx ebenso entschieden, wie er andererseits die Hegelsche Teleologie von der Hand weist. Textstellen wie diese veranschaulichen, wie schwierig es wird, die Lehre von der Vermitteltheit des unmittelbar Vorhandenen innermaterialistisch zu verfechten: d.h. mit Kant auf der Nichterkennbarkeit des Dings 'an sich' zu insistieren und doch mit Hegel daran festzuhalten, daß die sinnliche Gewißheit nicht 'das Letzte' sei, daß es 'Wesentlicheres' gäbe als das empirisch Evidente.

[117] Ph.d.G. 46.

[118] Noch Horkheimer legt den stärksten Akzent auf die subjektive Befreiung von Pseudoaprioris: »Im Denken über den Menschen klaffen Subjekt und Objekt auseinander; ihre Identität liegt in der Zukunft und nicht in der Gegenwart. Die Methode, die dahin führt, mag nach dem cartesianischen Sprachgebrauch Klärung heißen, aber diese bedeutet im wirklich kritischen Denken nicht nur einen logischen, sondern ebensosehr einen konkret geschichtlichen Prozeß. In seinem Verlauf ändert sich sowohl die soziale Struktur im ganzen wie das Verhältnis des Theoretikers zur Gesellschaft überhaupt, das heißt, es ändert sich das Subjekt wie auch die Rolle des Denkens. Die Annahme der wesentlichen Unveränderlichkeit des Verhältnisses von Subjekt, Theorie und Gegenstand unterscheidet die cartesianische Auffassung von jeder Art dialektischer Logik.« Horkheimer: Kritische Theorie (II), S. 160.

[119] Vgl. seine Vorlesung über die Geschichte der Philosophie: »Was die besonderen Wissenschaften betrifft, so ist zwar die Erkenntnis und das Denken ihr Element, wie das Element der Philosophie. Aber ihre Gegenstände sind zunächst die endlichen Gegenstände und die Erscheinung. Eine Sammlung von Kenntnissen über diesen Inhalt ist von selbst von der Philosophie ausgeschlossen; weder dieser Inhalt noch solche Form geht diese an.« (»Verhältnis der Philosophie zur wissenschaftlichen Bildung«, S. 76.)

[120] Oder Paranoia und Objektivismus: Vgl. DA 229 ff.

[121] Der Umschlag, wie Theunissen zeigt, liegt zwischen Hegel und Marx: bis heute scheiden sich die Geister, ob Hegel das Wort 'Revolution' als genitivus obiectivus oder als genitivus subiectivus meint; eine Zweideutigkeit, die Marx dann in die Relation von Geschichtsprozeß 'im Ganzen' und einzelwissenschaftlichem Befund umpolt. (Theunissen: Die Verwirklichung der Vernunft, S. 46.)

[122] »Marx hat die These vom Primat der praktischen Vernunft von Kant und dem deutschen Idealismus empfangen und geschärft zur Forderung, die Welt zu verändern, anstatt sie bloß zu interpretieren. Er hat damit das Programm absoluter Naturbeherrschung, ein Urbürgerliches, unterschrieben. Das reale Modell des Identitätsprinzips schlägt durch, das als solches vom dialektischen Materialismus bestritten ist, die Anstrengung, das dem Subjekt Ungleiche ihm gleichzumachen.« Adorno: ND 242. Der andere, von Adorno angeführte Grund ist, daß diese Formalisierung der Phänomenologie strategisch gemeint war: »Der Primat der Ökonomie soll mit historischer Stringenz das glückliche Ende als ihr immanent begründen; der Wirtschaftsprozeß erzeuge die politischen Herrschaftsverhältnisse und wälze sie um bis zur zwangsläufigen Befreiung vom Zwang der Wirtschaft. Die Intransigenz der Doktrin, zumal bei Engels, war jedoch gerade ihrerseits politisch. Er und Marx wollten die Revolution als eine der wirtschaftlichen Verhältnisse in der Gesellschaft als ganzer, in der Grundschicht ihrer Selbsterhaltung, nicht als Änderung der Spielregeln von Herrschaft, ihrer politischen Form. Die Spitze war gegen die Anarchisten gerichtet. Was Marx und Engels dazu bewog, gleichsam noch den Sündenfall der Menschheit, ihre Urgeschichte, in politische Ökonomie zu übersetzen, obwohl doch deren Begriff, an die Totalität des Tauschverhältnisses gekettet, selber ein Spätes ist, war die Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Revolution. Weil sie diese am nächsten Tag wollten, hatte es für sie die äußerste Aktualität, die Richtungen zu zerschlagen, von denen sie fürchten mußten, sie würden ähnlich besiegt wie einst Spartakus oder die aufständischen Bauern. Sie waren Feinde der Utopie um deren Verwirklichung willen.« (ND 315/6)

[123] »[...] das sittliche Bewußtsein ist vollständiger, seine Schuld reiner, wenn es das Gesetz und die Macht vorher kennt, der es gegenübertritt, sie für Gewalt und Unrecht, für eine sittliche Zufälligkeit nimmt und wissentlich, wie Antigone, das Verbrechen begeht. Die vollbrachte Tat verkehrt seine Ansicht; die Vollbringung spricht es selbst aus, daß, was sittlich ist, wirklich sein müsse; denn die Wirklichkeit des Zwecks ist der Zweck des Handelns. Das Handeln spricht gerade die Einheit der Wirklichkeit und der Substanz aus, es spricht aus, daß die Wirklichkeit dem Wesen nicht zufällig ist, sondern mit ihm im Bunde keinem gegeben wird, das nicht wahres Recht ist.« (Hegel: Ph.d.G. 348)

[124] Der argumentative Zwang besteht zum Teil vielleicht darin, daß Marx die strukturelle Differenz zwischen theoretischen und praktischen Diskursen nicht wahrhaben konnte, ohne sich zugleich auf eine radikalere Problematisierung des objektiven Idealismus und den darauf basierenden politischen Vorstellungen (»Subjekt« = »Proletariat«) einlassen zu müssen, als die damals vorhandenen theoretischen Mittel es erlaubten. Es fehlt ihm ein seiner projektiven Bestandteile ledig gewordener Evolutionsbegriff, der unter »qualitativen Übergängen« nicht mehr die zukünftige Wiederherstellung eines einmal gewesenen goldenen Zeitalters (»neues Jerusalem«) versteht, sondern die Aufhebung von »Umweltdeterminismen« durch Institutionalisierung und Komplexitätssteigerung; und es fehlt ihm ein vom Transzendentalismus befreiter Subjektbegriff, der weit genug gefaßt ist, um der Interdependenz zwischen psychologisch biologischen Lernprozessen, Weltbildern und dem realen Geschichtsprozeß nachgehen zu können, ohne auf methodologischer Ebene objektivistische Annahmen einführen zu müssen. Kurz: es fehlen ihm Darwin und Freud.

[125] Vgl. dazu Wellmer: »Worauf gründet indes Marx sein Vertrauen, daß das Bewußtsein der materiellen Not am Ende des revolutionären Kampfes zur massenhaften Einsicht in das praktisch Notwendige geführt haben wird und damit zum Gelingen der Revolution? Dieses Vertrauen läßt sich am Ende doch wieder nur dadurch erklären, daß Marx insgeheim dem Proletariat den allzu weiten Mantel des Weltgeistes umwirft, der das Vernünftige – das zugleich dasjenige ist, was an der Zeit ist – denken und in eins realisieren muß. Das Vernünftige ist für Marx immer schon das Wirkliche, da die Logik der Geschichte, nach der das Proletariat voranschreitet, nicht mehr ernsthaft zur Bewährung steht: sie garantiert vorweg, daß das Proletariat nicht nur im Takt des Weltgeistes marschiert, sondern auch das vollkommene Gelingen seiner Unternehmungen erbt. 'Das Privateigentum treibt allerdings sich selbst in seiner nationalökonomischen Bewegung zu seiner eigenen Auflösung fort, aber nur durch eine von ihm unabhängige, bewußtlose wider seinen Willen stattfindende, durch die Natur der Sache bedingte Entwicklung, nur indem es das Proletariat als Proletariat erzeugt, das seines geistigen und physischen Elends bewußte Elend, die ihrer Entmenschung bewußte und darum sich aufhebende Entfremdung.' Daß die Beseitigung des Privatkapitalismus die Aufhebung der Entfremdung impliziert, in diesem Denkschema steckt ein Rest von geschichts spekulativem Objektivismus beim frühen Marx, der auf den elitären Voluntarismus und den Parteiterror späterer Zeiten vorwegweist. Insofern ist Landgrebe zuzustimmen, der eine Beziehung herstellt zwischen dem metaphysischen Rest der Marxschen Theorie und der Praxis der allwissenden Parteielite.« (KGP 59)

[126] Vgl. Adorno: (ND 246) »Im Aufbau der gesamten Antithetik überschneiden sich Freiheit und Kausalität. Weil jene bei Kant soviel ist wie Handeln aus Vernunft, ist auch sie gesetzmäßig, auch die freien Handlungen 'folgen aus Regeln'. Daraus ist die unerträgliche Hypothek der nach Kantischen Philosophie geworden, daß Freiheit ohne Gesetz keine sei; einzig in der Identifikation mit diesem bestünde. Über den deutschen Idealismus hat sich das, mit unabsehbarer politischer Konsequenz, auf Engels fortgeerbt: theoretischer Ursprung der falschen Versöhnung.« Adorno führt folgendes Engels Zitat als Beleg an: »Hegel war der erste, der das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit richtig darstellte. Für ihn ist die Freiheit die Einsicht in die Notwendigkeit. 'Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen wird.' Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze, und in der damit gegebenen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen.«

[127] Was dann für die Marxsche Tradition jene, bis in die Gegenwart hinein ungemildert fortwirkende marxismusspezifische Antinomik schafft (Unbestimmbarkeit von dialektischem versus philosophischem Materialismus, Wiederkehr der gelöst gedachten »Ding an sich« Problematik in Form des Struktur/Geschichte oder Preis/Wert Paradoxes, Gleichsetzung von Dialektik = Wechselwirkung, Unmöglichkeit der erkenntnistheoretischen Abgrenzung zwischen Abbildtheorie und Szientismus u.a.m.), die die Frankfurter Schule dazu gezwungen hat, gegenüber Marx immer entschiedener auf Distanz zu gehen. (»Was in Hegel und Marx theoretisch unzulänglich blieb, teilte der geschichtlichen Praxis sich mit; darum ist es theoretisch erneut zu reflektieren [...]« ND 147.) Vgl. auch DA 264: »Zur Kritik der Geschichtsphilosophie«.

[128] »Der Krieg ist der Geist und die Form, worin das wesentliche Moment der sittlichen Substanz, die absolute Freiheit des sittlichen Selbstwesens von allem Dasein, in ihrer Wirklichkeit und Bewährung vorhanden ist. Indem er einerseits den einzelnen Systemen des Eigentums und der persönlichen Selbständigkeit wie auch der einzelnen Persönlichkeit selbst die Kraft des Negativen zu fühlen gibt, erhebt andererseits in ihm eben dies negative Wesen sich als das Erhaltende des Ganzen [...]« (Ph.d.G. 353, auch S. 335) Dazu Adorno: »Nicht müßig sind Spekulationen, ob der Antagonismus im Urspung menschlicher Gesellschaft, ein Stück prolongierter Naturgeschichte, als Prinzip homo homini lupus ererbt oder erst 'thesei' geworden sei; und ob er, wäre er schon entsprungen, aus den Notwendigkeiten des Überlebens der Gattung folgte und nicht gleichsam kontingent, aus archaischen Willkürakten von Machtergreifung. Damit freilich fiele die Konstruktion des Weltgeistes auseinander. Das geschichtlich Allgemeine, die Logik der Dinge, die in der Notwendigkeit der Gesamttendenz sich zusammenballt, gründete in Zufälligem, ihr Äußerlichem; sie hätte nicht zu sein brauchen. Nicht Hegel allein, sondern auch Marx und Engels, kaum irgendwo so idealistisch wie im Verhältnis zur Totalität, hätten den Zweifel an deren Unvermeidbarkeit, der doch der Absicht zur Veränderung der Welt sich aufdrängt, wie eine tödliche Attacke auf ihr eigenes System anstatt auf das herrschende abgewehrt. Marx hütet sich zwar, mißtrauisch gegen alle Anthropologie, den Antagonismus ins Menschenwesen oder in die Urzeit zu verlegen, die eher nach dem Topos des goldenen Zeitalters entworfen wird, insistiert aber um so zäher auf seiner historischen Notwendigkeit. Ökonomie habe den Primat vor der Herrschaft, die nicht anders denn ökonomisch abgeleitet werden dürfe. Mit Fakten ist die Kontroverse kaum zu schlichten; sie verlieren sich im Trüben der Frühgeschichte. Aber das Interesse an ihr war wohl so wenig eines an historischen Tatsachen wie einst das am Staatsvertrag, den schon Hobbes und Locke schwerlich für real vollzogen hielten.« ND 315. 'Krieg' und 'Nationalismus' sind für Adorno Begriffe, an denen sich eine selbstkritische Dialektik orientieren sollte: hier eher als im Tausch sieht er jenen Fetisch, der beides zugleich ist: objektiv geltend und subjektiv konstitutiv. Vgl. ND 333: »Rolle des Volksgeistes«.

[129] Adorno: »Die spekulativen Philosophen von Leibniz bis Schopenhauer haben mit Recht ihre Anstrengung auf Kausalität konzentriert. Sie ist die Crux des Rationalismus in jenem weiteren Sinn, der noch die Schopenhauersche Metaphysik einbegreift, soweit sie auf Kantischem Boden sich weiß. Die Gesetzmäßigkeit der reinen Denkformen, die causa cognoscendi, wird projiziert auf die Gegenstände als causa efficiens. Kausalität unterstellt das formallogische Prinzip, eigentlich die Widerspruchslosigkeit, das der nackten Identität, als Regel der materialen Erkenntnis von Objekten, mag auch historisch die Entwicklung umgekehrt verlaufen sein. Daher die Äquivokation im Wort ratio: Vernunft und Grund. Dafür hat Kausalität zu büßen: sie kann, nach Humes Einsicht, auf kein sinnlich Unmittelbares sich berufen. Insofern ist sie dem Idealismus als dogmatischer Rest eingesprengt, während er ohne Kausalität die Herrschaft über das Seiende nicht ausüben könnte, die er erstrebt.« (ND 232) Vgl. auch DA 214: »Die mathematische Formel ist bewußt gehandhabte Regression, wie schon der Zauber Ritus war; sie ist die sublimierteste Bestätigung von Mimikry«.

[130] Es ist mir nicht klar, inwiefern Benjamin den hiermit verbundenen – von ihm scharfsinnig analysierten – Linkspositivismus nun auf die Sozialdemokratie (d.h. auf Bürokratisierungstendenzen im Weberschen Sinne) oder auf den Marxschen Arbeits und Naturbegriff zurückführt. Dies wäre eine interessante Frage an die Benjaminphilologie: »Der Konformismus, der von Anfang an in der Sozialdemokratie heimisch gewesen ist, haftet nicht nur an ihrer politischen Taktik, sondern auch an ihren ökonomischen Vorstellungen. Er ist eine Ursache des späteren Zusammenbruchs. Es gibt nichts, was die deutsche Arbeiterschaft in dem Grade korrumpiert hat wie die Meinung, sie schwimme mit dem Strom. Die technische Entwicklung galt ihr als das Gefälle des Stromes, mit dem sie zu schwimmen meinte. Von da war es nur ein Schritt zu der Illusion, die Fabrikarbeit, die im Zuge des technischen Fortschritts gelegen sei, stelle eine politische Leistung dar. Die alte protestantische Werkmoral feierte in säkularisierter Gestalt bei den deutschen Arbeitern ihre Auferstehung. Das Gothaer Programm trägt bereits Spuren dieser Verwirrung an sich. Es definiert die Arbeit als 'die Quelle allen Reichtums und aller Kultur'. Böses ahnend, entgegnete Marx darauf, daß der Mensch, der kein anderes Eigentum besitze als seine Arbeitskraft, 'der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern [...] gemacht haben'. Unbeschadet dessen greift die Konfusion weiter um sich, und bald darauf verkündet Josef Dietzgen: 'Arbeit heißt der Heiland der neueren Zeit [...] In der [...] Verbesserung [...] der Arbeit [...] besteht der Reichtum, der jetzt vollbringen kann, was bisher kein Erlöser vollbracht hat.' Dieser vulgärmarxistische Begriff von dem, was die Arbeit ist, hält sich bei der Frage nicht lange auf, wie ihr Produkt den Arbeitern selber anschlägt, solange sie nicht darüber verfügen können. Er will nur die Fortschritte der Naturbeherrschung, nicht die Rückschritte der Gesellschaft wahr haben. Er weist schon die technokratischen Züge auf, die später im Faschismus begegnen werden. Zu diesen gehört ein Begriff der Natur, der sich auf unheilverkündende Art von dem in den sozialistischen Utopien des Vormärz abhebt. Die Arbeit, wie sie nunmehr verstanden wird, läuft auf die Ausbeutung der Natur hinaus, welche man mit naiver Genugtuung der Ausbeutung des Proletariats gegenüber stellt. Mit dieser positivistischen Konzeption verglichen erweisen die Phantastereien, die so viel Stoff zur Verspottung eines Fourier gegeben haben, ihren überraschend gesunden Sinn. Nach Fourier sollte die wohlbeschaffene gesellschaftliche Arbeit zur Folge haben, daß vier Monde die irdische Nacht erleuchteten, daß das Eis sich von den Polen zurückziehe, daß das Meerwasser nicht mehr salzig schmecke und die Raubtiere in den Dienst des Menschen träten. Das alles illustriert eine Arbeit, die, weit entfernt die Natur auszubeuten, von den Schöpfungen sie zu entbinden imstande ist, die als mögliche in ihrem Schoße schlummern. Zu dem korrumpierten Begriff von Arbeit gehört als sein Komplement die Natur, welche, wie Dietzgen sich ausgedrückt hat, 'gratis da ist'.« (»Über den Begriff der Geschichte« – These XI. Gesammelte Schriften, Band I.2, S. 698.)

[131] Adorno: ND 342.

[132] In LpD zitiert er Adornos Satz: »Ist das Zeitalter der Interpretation der Welt vorüber und gilt es sie zu verändern, dann nimmt die Philosophie Abschied [...] Nicht die Erste Philosophie ist an der Zeit, sondern eine letzte«.

[133] Zur Diskussion steht »eine Organisationspraxis, die der Forderung nach massenhafter Aufklärung genügt«. (TuP 21)

[134] LpD 425.

[135] »Der verschleierte Schrecken. Bemerkungen zu C.F. Weizsäckers 'Mit der Bombe leben'«. Frankfurter Hefte, 13, (1958), S. 532.

[136] LpD 389.

[137] ibid. 412.

[138] LpD 405.

[139] ibid. 407.

[140] ibid. 390.

[141] ibid. 393.

[142] ibid.

[143] ibid. 421.

[144] Auch Adorno hat nicht gezögert, dem Historischen Materialismus einen »unleugbaren Mangel an philosophischer Reflexion« zu bescheinigen. (ND 200) An einer anderen, den Titel 'Vorrang des Objekts' tragenden Stelle heißt es: »Nicht daß Objektivität ein Unmittelbares, daß die Kritik am naiven Realismus zu vergessen wäre. Vorrang des Objekts bedeutet die fortschreitende qualitative Unterscheidung von in sich Vermitteltem, ein Moment in der Dialektik, nicht dieser jenseitig, in ihr aber sich artikulierend.«(185)

[145] Ein Wort zum Fetischbegriff selbst und wie ich ihn hier benutze. Bei Marx hat er den exakten Sinn, daß das, was in Wahrheit ein normativ gehaltvolles, prinzipiell veränderbares Verhältnis von Menschen zueinander ist, unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise für sie »[...] die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt« (Kapital I, S. 86). Der Preis der Ware scheint so von den Marktbedingungen abzuhängen und scheint eine Größe zu sein, die sich rein technisch bestimmen läßt: prinzipiell einer naturwissenschaftlichen Analyse zugänglich. Eben darin liegt, Marx zufolge, der Fetischismus: der Preis ist in Wahrheit »ein Verhältnis zwischen Personen«, ein »unter dinglicher Hülle verstecktes Verhältnis« von Menschen zueinander (S. 88). Über Lukács und die Frankfurter Schule erfährt dieser Fetischbegriff dann eine Änderung in der Deutung: er wird allgemeiner gefaßt, sozusagen metaphorisiert. Nicht nur die Ware, sondern sämtliche Gegenstände der 'Außenwelt' sind in diesem übertragenen Sinne 'Fetische', weil wir sie nur als stumme Erscheinungen erfahren, die über die Historizität und Geformtheit unseres eigenen Wahrnehmungsapparates nichts verraten. In der falschen Unmittelbarkeit von Erfahrungsgegenständen geht m.a.W. der subjektiv aktive Teil der Perzeption – kantisch: die Erfahrungskonstitution – verloren. Lukács scheint diese Neubestimmung des Fetischbegriffs anhand des Hegelschen (allerdings durch die 'Webersche Brille' interpretierten) Verstandes/ Vernunft Unterschiedes durchgeführt zu haben; 'Verdinglichung' bezieht sich jedenfalls bei ihm eher auf Bewußtseinsstrukturen als auf Dinge, am Ende auf das naturwissenschaftliche Denken (das 'formalistische' Denken, wie er sagt) schlechthin. Erfahren wir den Gegenstand in der 'Außenwelt' als unreflektiert hingenommene Tatsache, »[...] so kristallisiert sich in der 'Tatsache' das den Menschen entfremdete, erstarrte, zum undurchdringbaren Ding gewordene Wesen der kapitalistischen Entwicklung in einer Form, die diese Erstarrung und Entfremdung zu der selbstverständlichsten, zu einer über jeden Zweifel erhabenen Grundlage der Wirklichkeit und der Weltauffassung macht.« Eben an diesen 'Tatsachen' bildet »das verdinglichte bürgerliche Denken [...] seinen höchsten theoretischen und praktischen Fetisch.« (GuK 201/202 Vgl. auch Wellmers Diskussion in »Kommunikation und Emanzipation« S. 476.) Was Lukács hier theoretischen Fetisch nennt, wird dann in der Dialektik der Aufklärung mit Kausalitätsdenken überhaupt gleichgesetzt und wird immer weniger mit der kapitalistischen Produktionsweise in Zusammenhang gebracht, dafür aber immer eindeutiger als fixe Größe der Geschichte insgesamt verstanden. (DA 39: »Kein Sein ist in der Welt, das Wissenschaft nicht durchdringen könnte, aber was von Wissenschaft durchdrungen werden kann, ist nicht das Sein.«) Diese »mathematische Verfahrensweise« (DA 38) steht nicht so sehr im Dienste des Kapitalismus als im Dienste der Naturbeherrschung (ibid.); sie wird gleichzeitig als universelle, anthropologische Notwendigkeit und als geistiger Reflex des Faschismus bestimmt; Naturwissenschaft, Kulturindustrie und die neuen Dämonologien schließen sich zu einem einzigen System der Entfremdung zusammen. »Ohne Hoffnung ist nicht das Dasein, sondern das Wissen, das im bildhaften oder mathematischen Symbol das Dasein als Schema sich zu eigen macht und perpetuiert.« (DA 41) Man könnte diesen, über Lukács zu der Frankfurter Schule hin sich vollziehenden Bedeutungswandel des Fetischbegriffes als Vergeistigungs oder Verinnerlichungsprozeß ansehen: denn bei Marx ist es die Ware, ein Seiendes, bei Adorno aber das Kausalitätsdenken, ein Gedachtes, in dem man das Phänomen des fetischistischen Bewußtseins zu begreifen hat. (Ähnlich bei Korsch und Marcuse – auch bei ihnen wird die Fetisch und Entfremdungsproblematik nicht 'ökonomistisch' abgehandelt, sondern geradezu umgekehrt: der Warenfetischismus wird eher als Spezialfall des allgemeineren naturwissenschaftlichen Formalismus aufgefaßt. Vgl. Karl Korsch: Marxismus und Philosophie, S. 93; Herbert Marcuse: Reason and Revolution, S. 273 f.) Vielleicht leuchtet es nicht unmittelbar ein, im selben Atemzug Marx' Fetischbegriff und Habermas' Begriff des 'erkenntnisleitenden Interesses' zu nennen (geht es Marx doch um Mehrwert, Habermas um Wissenschaftstheorie), aber es hat – wie z.B. Wellmer gezeigt hat – seine Berechtigung darin, daß gerade damit die interpretationsgeschichtliche Umdeutung im Fetischbegriff selbst zur Sprache kommt. Zu glauben: die Objektivität des Wissens in der Soziologie könne dadurch gewährleistet werden, daß sie sich nach den Naturwissenschaften modelt, ist Fetischismus – den Frankfurtern zufolge. Natürlich ist das ein Fetischbegriff, der eher mit Hegel oder dem 'jungen' Marx zu vergleichen wäre als mit der 'strikten' Warenanalyse, aber gerade diese 'häretische' Interpretation ermöglicht es der Kritischen Theorie (hier: Habermas) die verlorene 'Einheit' von Erkenntnistheorie, Gesellschaftstheorie und Politik wieder herzustellen. (Wenn auch 'nur im Gedanken': Vgl. unten meine Interpretation des Lukácsschen Verdinglichungsbegriffs: III 1. Auch Adorno: MdE 72 f.)

[146] Albrecht Wellmer: KGP 11/12: »Eine Grundfigur der Habermasschen Argumentation tritt schon beim frühen Horkheimer auf: er interpretiert die kausal erklärenden Wissenschaften als ihrer logischen Struktur nach technisch verwertbare Wissenschaften und erkennt deren emanzipative Bedeutung durchaus an: ihre Entwicklung hängt unmittelbar zusammen mit der ungeheuren Entwicklung der Produktivkräfte in der kapitalistischen Gesellschaft, die den Menschen mit einer kumulativ wachsenden Macht über die Natur und mit der Zerstörung aller eingewurzelten Lebensverhältnisse zugleich die objektiven Voraussetzungen ihrer gesellschaftlichen Emanzipation an die Hand gibt. Horkheimer erkennt darüber hinaus den objektivistischen Schein, dem die, wie wir sagen würden, empirisch analytischen Wissenschaften verfallen sind, als notwendigen Ausdruck der entsprechenden wissenschaftlichen intentio recta an. Dieser objektivistische Schein bleibt harmlos, solange er nur den fachimmanent kommunizierenden Wissenschaftlern ein gemeinsames Erkenntnisinteresse verdeckt, dessen Gemeinsamkeit die Intersubjektivität ihrer Kommunikation immer schon garantiert; da sich in dieser Gemeinsamkeit eine Identität des menschlichen Gattungssubjektes als Ganzes gegenüber einer vergegenständlichten Natur ausspricht, deren listige Unterwerfung durch gesellschaftliche Arbeit eine Bedingung des kollektiven Überlebens ist, erscheint der Objektivismus der empirisch analytischen Wissenschaften als erkenntnisanthropologisch notwendige Fiktion. [...] Unter den Bedingungen der modernen kapitalistischen Produktionsweise wird der objektivistische Schein indes zum gefährlichen Schein, wenn er sich auf alle Bereiche der Wissenschaften ausdehnt und wenn er als solcher überhaupt nicht mehr durchschaut wird. In den Sozialwissenschaften führt das zu einer Verfälschung des Objekts und zu einer konformistischen Anpassung der Forschungssubjekte: indem die Wissenschaftler nicht mehr durchschauen, in welcher Weise sie 'durch die Akte des Erkennens hindurch' (Habermas) dem gesellschaftlichen Lebensprozeß verhaftet bleiben und zugleich in ihm sich situieren, verfälschen sie die menschliche Geschichte zu einem Naturprozeß und übernehmen zugleich willig die ihnen von dem kapitalistischen System zugedachte Rolle nützlicher und unverantwortlicher Fachleute, deren Wissen bruchlos in den Verwertungszusammenhang des Systems sich integrieren läßt.«

[147] Vgl. TWI 166. Das Subjekt wird damit insofern in den 'Funktionskreis instrumentellen Handelns' verbannt und auf eine magisch mythische Stufe zurückgeworfen (das ist die an die Dialektik der Aufklärung erinnernde Diagnose), als es dem Szientismus gelingt, die Erfahrbarkeit praktischen Wissens überhaupt zu verdrängen: »Die Dimension, in der die handelnden Subjekte über Ziele und Zwecke sich rational verständigen könnten, wird so der Finsternis der bloßen Dezision zwischen verdinglichten Wertordnungen und uneinsichtigen Glaubensmächten überantwortet.«

[148] »Verständigungsform« ist explizit Lukács' Begriff »Gegenständlichkeitsform« nachgebildet: vgl. TkH (Bd. 2) 278.

[149] Auch Hegel stellt sich das aufgeklärte und emanzipierte Individuum als ein moralisch handelndes, politisch engagiertes Individuum vor: »Das edelmütige Bewußtsein findet also im Urteil sich so der Staatsmacht gegenüber, daß sie zwar noch nicht ein Selbst, sondern erst die allgemeine Substanz (ist), deren es aber als seines Wesens, als des Zwecks und absoluten Inhalts sich bewußt ist. Sich so positiv auf sie beziehend, verhält es sich negativ gegen seine eigenen Zwecke, seinen besonderen Inhalt und Dasein, und läßt sie verschwinden. Es ist der Heroismus des Dienstes, – die Tugend, welche das einzelne Sein dem Allgemeinen aufopfert und dies dadurch ins Dasein bringt, – die Person, welche dem Besitze und Genusse von selbst entsagt und für die vorhandene Macht handelt und wirklich ist.« Ph.d.G. 373.

[150] TuP 16.

[151] TWI 161. Dies soll natürlich nicht – wogegen er sich mehrmals gewehrt hat – im Sinne des biologischen Reduktionismus mißverstanden werden. Es sind Formulierungen, die eher Freud als den Biologismus in Erinnerung rufen sollen. Ideologien haben etwas Triebhafes an sich – das ist der Gedanke.

[152] LpD 439.

[153] TWI 160 162.

[154] Vgl. etwa folgende Stelle aus Negative Dialektik: »Das tierische Verhalten differiert vom menschlichen durch ein Zwangshaftes. An die Tiergattung Mensch dürfte es sich fortgeerbt haben, wird aber in dieser zu einem qualitativ Anderen. Und zwar gerade vermöge der Fähigkeit zur Reflexion, vor der der Bann zunichte werden könnte und die in seinen eigenen Dienst trat. Mit solcher Verkehrung ihrer selbst verstärkt sie ihn und macht ihn zum radikal Bösen, bar der Unschuld bloßen Soseins. In der menschlichen Erfahrung ist der Bann das Äquivalent des Fetischcharakters der Ware. Selbstgemachtes wird zum An sich, aus dem das Selbst nicht mehr hinausgelangt; im dominierenden Glauben an Tatsachen als solche, in ihrer positiven Hinnahme verehrt das Subjekt sein Spiegelbild. Als Bann ist das verdinglichte Bewußtsein total geworden. Daß es ein falsches ist, verspricht die Möglichkeit seiner Aufhebung: daß es nicht dabei bleibe, daß falsches Bewußtsein unvermeidlich sich über sich hinaus bewegen müsse, nicht das letzte Wort behalten könne. Je mehr die Gesellschaft der Totalität zusteuert, die im Bann der Subjekte sich reproduziert, desto tiefer denn auch ihre Tendenz zur Dissoziation. Diese bedroht sowohl das Leben der Gattung, wie sie den Bann des Ganzen, die falsche Identität von Subjekt und Objekt, dementiert.« (S. 338)

[155] Die entscheidende Stelle lautet: »Die Erkenntnisinteressen sind weder erkenntnispsychologisch noch wissenssoziologisch oder im engeren Sinne ideologiekritisch von Bedeutung; denn sie sind invariant. Noch lassen sie sich andererseits auf das biologische Erbe eines konkreten Antriebspotentials zurückführen; denn sie sind abstrakt. Sie ergeben sich vielmehr aus Imperativen der an Arbeit und Sprache gebundenen soziokulturellen Lebensform. Daher sind technisches und praktisches Erkenntnisinteresse nicht Steuerungen der Kognition, die um der Objektivität der Erkenntnis willen ausgeschaltet werden müßten; sie selbst vielmehr bestimmen den Aspekt, unter dem die Wirklichkeit objektiviert, und damit der Erfahrung allererst zugänglich gemacht werden kann. Sie sind die für sprach und handlungsfähige Subjekte notwendigen Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung, die auf Objektivität Anspruch erheben kann. Der Ausdruck 'Interesse' soll freilich die Einheit des Lebenszusammenhanges anzeigen, in den Kognition eingebettet ist: wahrheitsfähige Äußerungen beziehen sich auf eine Realität, die in zwei verschiedenen Handlungs Erfahrungskontexten als Wirklichkeit objektiviert, d.h. zugleich freigelegt und konstituiert wird; das zugrundeliegende 'Interesse' stiftet die Einheit zwischen diesem Konstitutionszusammenhang, an den Erkenntnis zurückgebunden ist, mit der Struktur der möglichen Verwendungen, die die Erkenntnisse finden können.« (TuP 16) Wenn man beim Lesen dieser Passage bedenkt, daß die Worte »Einheit des Lebenszusammenhangs« immer dann benutzt werden, wenn an entsprechenden Stellen bei Adorno von einem »Verblendungszusammenhang« die Rede ist, dann tritt hier auch der Unterschied zur Frankfurter Schule klar hervor. Die Überzeugung, daß es prinzipiell möglich ist, über die 'Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung' etwas aussagen zu können, geht natürlich auf Kant zurück und liegt in einer historisierten Form auch dem Marxschen Basis/Überbau Modell zugrunde; die Ausdrücke 'Arbeit' und 'Sprache' erinnern uns daran, daß Habermas das typisch philosophische Bemühen, den letzten Grund dieser 'Erfahrungskonstitution' ausfindig zu machen, um eine anthropologische Variante ergänzt hat. Dem gegenüber kann der Adornosche Einwand erhoben werden, den in einem anderen Zusammenhang Habermas selbst gegen Popper zur Geltung brachte: über eine 'ontologische' Korrespondenz zwischen Erfahrungsmodus und 'letztem' (sei es aus transzendentallogisch oder geschichtlich ausgemachtem) Grund wissen wir, wie Adorno in Zur Metakritik der Erkenntnistheorie zeigte, gar nichts, und werden es wohl auch nie wissen können; eigentlich wissen wir nur, daß 'Kapitalismus' und 'Falsifizierbarkeit' Begriffe sind, die aus unterschiedlichen Traditionen stammen und jeweils einen anderen Erfahrungshorizont voraussetzen; das Unwahre (oder 'Nichtidentische') an der einen Tradition scheint nur dann greifbar zu werden, wenn wir die andere gegen sie ausspielen, und umgekehrt. Wenn die Lehre, der zufolge die Erkenntnisinteressen 'invariant' sind, das bezwecken will, dann hat sie den guten (ideologiekritischen) Sinn, den Universalitätsanspruch des Objektivismus und der Hermeneutik als falsche Hypostasierungen zu überführen – diesmal mit den vielleicht angemesseneren Mitteln der Anthropologie, Evolutions und Kommunikationstheorie. Dann könnte diese Lehre mit Recht als der Kern einer mit moderneren Mitteln wieder aufgenommenen Idealismuskritik betrachtet werden. Wird sie aber dahingehend gedeutet, daß die 'Lebenswelt' Erfahrungs und Kommunikationsformen bereitstellt, die im Wissenschaftssystem nur verzerrt und korrumpiert ihren Ausdruck finden, dann übernimmt diese Lebenswelt jene problematische Funktion, die im klassischen Idealismus einmal das transzendentale Subjekt ausübte: als Instanz, die gegenüber dem Wissenschaftssystem die Kriterien für ungezwungene, wahre und unverzerrte Vernunft festlegen soll. Im Wort 'invariant' klingen beide Interpretationen an: der Fetischbegriff, den ich hier beschreibe, und die später formulierte Geschichtstheorie, derzufolge eine schon kommunikativ organisierte 'Lebenswelt' von außen her 'kolonialisiert' wird. Diese Zweideutigkeit hängt mit einem Problem zusammen, das schon Marx beschäftigt und m.E. auch bei Habermas bisher keine befriedigende Lösung gefunden hat: wie die von der Anthropologie her aufgezeigten, biologisch festgelegten Invarianten (jene 'functional imperatives' also, die auf die Selbsterhaltungsmechanismen höchst komplexer biologisch kultureller Systeme zurückweisen) mit den, von der Philosophie her aufgezeichneten, Medien der Erfahrungskonstitution (m.a.W. den Binnenperspektiven von Sozialisations und Individuierungsprozessen) zusammenhängen.

[156] LpD 454. Auf die Parallelen zum Wissenschaftsbegriff der frühen Frankfurter Schule sei hier nur pauschal hingewiesen. Vgl. dazu Horkheimers »Bemerkungen über Wissenschaft und Krise«: ZfS, Bd. 1.

[157] »Ich unterstelle nicht die synthetischen Leistungen eines intelligiblen Ichs oder überhaupt eine leistende Subjektivität. Ich unterstelle allerdings, mit Peirce, den realen Zusammenhang kommunizierender (und kooperierender) Forscher, wobei diese Subsysteme jeweils Teil ihrer umfassenden gesellschaftlichen Systeme und diese wiederum Ergebnis der soziokulturellen Evolution der Menschengattung sind.« (TuP 21)

[158] ND 180.

[159] Dieses Wissen hat als Funktion: die »Erhaltung und Erweiterung der Intersubjektivität möglicher handlungsorientierender Verständigung«. (TWI 158) Es ist ein Wissen, dessen Funktion es ist, in »Mechanismen der Lösung von Handlunskonflikten« einzugehen (Habermas: Abschlußstatement in W. Oelmüller [Hrsg.]: Transzendentalphilosophische Normenbegründung, 1978, S. 114).

[160] TuP 13: »Eine wissenschaftskritisch aufgeklärte und politisch handlungsfähige Hochschule könnte sich zum Anwalt dafür machen, daß zwischen alternativen Gewichtungen des wissenschaftlich technischen Fortschritts nicht naturwüchsig unter industriell militärischen Gesichtspunkten, sondern, in Abwägung der praktischen Folgen, politisch, eben aufgrund allgemeiner diskursiver Willensbildungsprozesse entschieden wird«. Dasselbe Thema wird in einem Interview (Theory and Society, 1, 1974, S. 57) so ausgesprochen: »Regarding science policy, the immediate thing is to politicize the whole area of science policy with the aim to disconnect the present policy making in this area from a very well established and channelized influence coming, not from industry in general, but from the technically high developed industries such as electronics.« Vgl. dazu auch Habermas' Die wissenschaftstheoretischen Begründungen der Teilnahme der Mitglieder der Universität an den Entscheidungsprozessen und der Universitätsorganisation (1969) und »Für eine handlungsfähige Hochschule« (1969).

[161] »Für das Individuum bleibt die Dinghaftigkeit und mit ihr der Determinismus [...] unaufhebbar. Jeder Versuch, sich von hier aus zur 'Freiheit' durchzuschlagen, muß scheitern, denn die rein 'innere' Freiheit setzt die Unwandelbarkeit der äußeren Welt voraus«. Geschichte und Klassenbewußtsein, S. 211.

[162] Nur so kann ich die Forderung nach einem neuen Wissenschaftstypus deuten, (eben: nach einem 'reformulierten Historischen Materialismus') der, wie er sagt, Wissenschaftstheorie und Philosophie »in einem« sein soll. »Sie [diese Kritische Theorie F.v.G.] müßte das objektivistische Selbstverständnis der Wissenschaften und einen szientistischen Begriff von Wissenschaft und wissenschaftlichem Fortschritt kritisieren; sie müßte insbesondere Grundfragen einer sozialwissenschaftlichen Methodologie so behandeln, daß die Erarbeitung angemessener Grundbegriffe für kommunikative Handlungssysteme nicht gehemmt, sondern gefördert wird; sie müßte schließlich die Dimension klären, in der die Logik der Forschung und der technischen Entwicklung ihren Zusammenhang mit der Logik willensbildender Kommunikationen zu erkennen gibt. Eine solche Kritik würde sich also der Inhalte, die sie sich von den empirisch gehaltvollen Wissenschaften und den utopisch gehaltvollen Überlieferungen geben lassen muß, auf einer eigentümlichen Grundlage vergewissern müssen; sie wäre nach herkömmlichen Begriffen Theorie der Wissenschaften und praktische Philosophie in einem.« (PPP 33/34)

[163] Wenn statt 'methodologischer Grundlagenforschung' 'Antinomienlehre' gesagt wird, dann wird klar, daß bis hierher dieser Fetischbegriff mit dem Adornoschen konform ist: »Seit dem siebzehnten Jahrhundert hatte die große Philosophie Freiheit als ihr eigentümlichstes Interesse bestimmt; unterm unausdrücklichen Mandat der bürgerlichen Klasse, sie durchsichtig zu begründen. Jenes Interesse jedoch ist in sich antagonistisch. Es geht gegen die alte Unterdrückung und befördert die neue, welche im rationalen Prinzip selbst steckt. Gesucht wird eine gemeinsame Formel für Freiheit und Unterdrückung: jene wird an die Rationalität zediert, die sie einschränkt, und von der Empirie entfernt, in der man sie gar nicht verwirklicht sehen will. Die Dichotomie bezieht sich auch auf fortschreitende Verwissenschaftlichung. Mit ihr ist die Klasse verbündet, soweit sie die Produktion fördert, und muß sie fürchten, sobald sie den Glauben, ihre bereits zur Innerlichkeit resignierte Freiheit sei existent, antastet. Das steht real hinter der Antinomienlehre. Bei Kant schon und dann bei den Idealisten tritt die Idee von Freiheit in Gegensatz zur einzelwissenschaftlichen, zumal psychologischen Forschung. Deren Gegenstände werden von Kant ins Reich der Unfreiheit verbannt; positive Wissenschaft soll unterhalb der Spekulation – bei Kant: der Lehre von der Noumena – ihre Stätte haben. Mit dem Erlahmen der spekulativen Kraft und der korrelativen einzelwissenschaftlichen Entwicklung hat der Gegensatz zum äußersten sich verschärft. Dafür zahlten die Einzelwissenschaften mit Engherzigkeit, die Philosophie mit unverbindlicher Leere.« (ND 213/214) Die entsprechende Stelle aus Horkheimers »Traditionelle und Kritische Theorie« lautet: »Der Gelehrte und seine Wissenschaft sind in dem gesellschaftlichen Apparat eingespannt, ihre Leistung ist ein Moment der Selbsterhaltung, der fortwährenden Reproduktion des Bestehenden, gleichviel, was sie sich selbst für einen Reim darauf machen«. (Kritische Theorie, Bd. II, S. 145)

[164] Vgl. seine »Wahrheitstheorien«.

[165] Bei Lukács heißt es: das Kantische Problem des 'Dings an sich' muß notwendigerweise antinomisch bleiben, solange die ganze Kontroverse nicht in ihrer realen Vermitteltheit durchschaut, und damit als verzerrter Ausdruck von etwas ganz Anderem verstanden wird. »Erst diese Fragestellung ermöglicht auf der einen Seite die klare Scheidung des theoretisch kontemplativen, des anschauenden Verhaltens von der Praxis, auf der anderen Seite wiederum macht es erst sie verständlich, wieso diese beiden Verhaltungsarten aufeinander bezogen werden, wie der Versuch gemacht werden konnte, mit Hilfe des praktischen Prinzips die Antinomien der Kontemplation aufzulösen.« (GuK 139) Wird diese Argumentation in die Wissenschaftstheorie übertragen (wird m.a.W. die Idealismuskritik, wie sie Habermas vor Augen steht, mit psychoanalytischen Begriffen fortgesetzt), dann würde das etwa heißen: Naturwissenschaft, Geisteswissenschaft und Kunst haben alle drei das christlich platonische Prinzip der theoretisch kontemplativen »Einstellung zur Welt« übernommen, um auf dieser psychologischen Basis (fatalistisch stoische Verklärung der Wirklichkeit, bewußtlose Verinnerlichung von gesellschaftlichem Zwang) dem Nationalstaat jene Theorien zu besorgen, denen er seine Befreiung vom Feudalismus einmal verdankte. 'Reflektiert' (im doppelten Sinne: objektiv, subjektiv) das Wissenschaftssystem nicht rechtzeitig seine Verstrickung in die unheilvolle Dynamik von Nationalstaat, Medien und Militär, dann stehen den Untergangs Szenarien aus Global 2000 nichts mehr im Wege. Hier sei auch an Adornos Begriff der zweiten Natur (ND 351) und des identitätssetzenden Geistes (ND 350) erinnert. Wie Adorno das Nichtzustandekommen eines Konsensus zwischen dem (naturwissenschaftlich trainierten) Psychologen und dem (humanistisch gebildeten) Psychoanalytiker auffaßt, kommt in dieser kritischen Pointe gegen Hegel zum Vorschein: »Subjektivität, welche ja selbst bei Hegel das Allgemeine und die totale Identität ist, wird vergottet. Damit aber auch das Gegenteil erreicht, die Einsicht ins Subjekt als sich manifestierende Objektivität. Die Konstruktion des Subjekt Objekts ist von abgründigem Doppelcharakter. Sie fälscht nicht nur ideologisch das Objekt in die freie Tat des absoluten Subjekts um, sondern erkennt auch im Subjekt das sich darstellende Objektive und schränkt damit das Subjekt anti ideologisch ein. Subjektivität als existierende Wirklichkeit der Substanz reklamierte zwar den Vorrang, wäre aber als 'existierendes', entäußertes Subjekt ebenso Objektivität wie Erscheinung. Das jedoch müßte auch das Verhältnis von Subjektivität zu den konkreten Individuen affizieren. Ist Objektivität ihnen immanent und in ihnen am Werk; erscheint sie wahrhaft in ihnen, so ist die derart aufs Wesen bezogene Individualität weit substantieller, als wo sie dem Wesen nur untergeordnet wird.« (S. 143.)

[166] Erste Feuerbachthese.

[167] Vgl. EuI 393: Verhältnis von Erfahrungskonstitution und Argumentationsapriori. Auch »Wahrheitstheorien«, S. 232 f.

[168] Adorno: »Man könnte zu anthropologischen Spekulationen darüber sich verleiten lassen, ob nicht der entwicklungsgeschichtliche Umschlag, welcher der Gattung Mensch das offene Bewußtsein und damit das des Todes verschaffte, einer gleichwohl fortwährenden animalischen Verfassung widerspricht, die es nicht erlaubt, jenes Bewußtsein zu ertragen. Dann wäre für die Möglichkeit des Weiterlebens der Preis einer Beschränkung des Bewußtseins zu entrichten, die es vor dem schützt, was es doch selber ist, Bewußtsein des Todes. Trostlos die Perspektive, die Borniertheit aller Ideologie ginge, gleichsam biologisch, auf eine Nezessität der Selbsterhaltung zurück und müßte keineswegs mit einer richtigen Einrichtung der Gesellschaft verschwinden, während freilich erst in der richtigen Gesellschaft die Möglichkeit richtigen Lebens aufginge.« (ND 388)

[169] GS., Bd. 5, S. 15.

[170] Seine zwei Jahre früher erschienene Sammelrezension »Marx in Perspektive« (Es wurden rezenziert: Schwarzschild, Der Rote Preuße; Corno, Karl Marx und Friedrich Engels; Landgrebe, Marx und Hegel; Popitz, Der entfremdete Mensch; Dahrendorf, Marx in Perspektive) steht noch mehr oder weniger im Zeichen einer von der Ontologie (Heidegger) her beeinflußten »Technik ist Entfremdung« Zeitkritik: »Nie hat Marx begriffen, daß diese 'Maschinerie' (und das ganze gesellschaftliche System in ihrem Gefolge), daß die Technik selbst, und nicht erst eine bestimmte Wirtschaftsverfassung, unter der sie arbeitet, die Menschen, die arbeitenden wie die konsumierenden, mit 'Entfremdung' überzieht.« (Merkur, 9)

[171] »Wir leben [...] im Gefühl der verpaßten Chancen. Und nicht einmal dieses Gefühl wird reflektiert«. (»Neun Jahre unter der Lupe. Deutschlands geistige Entwicklung seit 1945. Der Versuch einer Bilanz.«; Handelsblatt, Jg. 9, [1954], H. 135, S. 4.)

[172] LpD 403.

[173] Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken, Bonn, 1954. Vgl. auch: »Dialektischer Idealismus im Übergang zum Materialismus – Geschichtsphilosophische Folgerungen aus Schellings Idee einer Contraction Gottes«. TuP, 172. Die nachträglich hinzugefügte Einleitung – über die Junghegelianer – steht in eigentümlichem Kontrast zum Thema der Dissertation selbst: es ist dies eben die faszinierende Stelle, wo im Denken des jungen Habermas fürs erste Mal der Unterschied zwischen einem Philosophieren, das sich vom Leitgedanken des intellectus archetypus inspirieren läßt (für den »die Bedingungen der Endlichkeit [...] suspendiert« sind: LpD 438) und einem Begriff der Philosophie, die »an der Aufhebung ihrer selbst ihr Bewußtsein ausbildet« aufgeht. (ibid. 414) Immerhin: daß es nicht so leicht ist, selbst die Dissertation als 'traditionelle' Geisteswissenschaft abzutun, zeigen folgende Sätze: »Marx Destruktion der Hegelschen Dialektik erweist nicht nur, daß Hegels Vermittlung von Existenz und Essenz bloß scheinbar geglückt ist, sie erweist das Wichtigere: daß nämlich dieser Scheinbarkeit der Vermittlung eine faktische gesellschaftliche Struktur zu Grunde liegt, eine Struktur, die jetzt ein Nachholen der mißglückten Aufhebung erfordert, diesmal aber einer realen Aufhebung materieller Verhältnisse. Marx Auffassung der Wirklichkeit springt an dem Punkte auf, wo klar wird, daß er Aufhebung nicht wie Bauer und Stirner, und wie Feuerbach noch, als intellektuelle Entlarvung eines nur scheinbar unabhängigen Wesens denkt – eine Auffassung, die schon Fichtes Dialektik zu Grunde liegt – daß er vielmehr Aufhebung als einen werktätigen Prozeß denkt, als den Akt der Arbeit, der das Wesen des Menschen und seine Wirklichkeit ausmacht.« Das Absolute und die Geschichte, S. 60.

[174] PPP 67.

[175] »Freiheit, Anruf und Gewissen.« 53 f.; auch PPP 69.

[176] PPP 67.

[177] ibid.

[178] KPS 515.

[179] KPS 365.

[180] am »Bösen«, um mit der Dissertation zu reden. (S. 2)

[181] LpD 391.

[182] ibid.

[183] ibid. 388.

[184] KPS 513.

[185] LpD 409.

[186] LpD 431.

[187] LpD 433.

[188] LpD 409: »[...] der Bruch zwischen der Metaphysik, die sich in Hegels System vollendet, und dem nachmetaphysischen Denken seit Marx wird genau dadurch bezeichnet, daß die Logik der Geschichte als eine geschichtliche Logik, als eine von uns selber hergestellte, mit aller Kontingenz, die daran hängt, behauptet wird; und nicht als eine Logik des absoluten Bewußtseins [...] 'idealistisch' genügt sich die Philosophie zur Erfüllung ihres Anspruchs, indem sie die Logik der Geschichte als den Gang des Geistes zu sich selber rekonstruiert; 'materialistisch' genügt sich die Philosophie nicht, weil sie sich in Abhängigkeit der gesellschaftlichen und als Vorbereitung einer umwälzenden Praxis reflektiert, weil sie den Gang der Geschichte als den Gang der gesellschaftlichen Reproduktion des Lebens und nicht als die Logik eines absoluten Bewußtseins unterstellt.«

[189] LpD 409.

[190] LpD 412.

[191] ibid. 418.

[192] ibid: 'kritische Praxis' ist auch 'Kritik durch Praxis'.

[193] LdD 435. Das Adorno Zitat stammt aus Zur Metakritik der Erkenntnistheorie, S. 33. In dem selben Buch, fünfzig Seiten weiter, benutzt Adorno den Interessenbegriff in derselben Weise wie Habermas ihn acht Jahre später als Grundgedanken seiner Antrittsvorlesung »Erkenntnis und Interesse« einführen wird. Ich zitiere in extenso um zu belegen, wie wichtig dieser Einfluß auf Habermas' Denken gewesen sein muß. Nichts träfe das zentrale Motiv sämtlicher Habermas'scher Schriften genauer als folgender Passus: »Der Form Inhalt Dualismus ist das Schema von Verdinglichung. Husserl erklärt, 'wir' – nämlich die zünftigen Logiker – interessieren uns nicht für das Werden, sondern für das objektive Recht wissenschaftlicher Weltvorstellung. So inthronisiert er hochmütig das von der wissenschaftlichen Arbeitsteilung diktierte 'Interesse' als Kriterium der ontologischen Dignität vorgeblich unveränderlichen Seins gegenüber bloßem Werden. Das Wort 'Interesse', das ein willkürliches sich Hinwenden anzeigt, verrät gegen Husserls Absicht, daß jene Dignität nicht vom logischen Sachverhalt an sich, sondern von der 'Einstellung' einer Wissenschaft herrührt, die um ihrer vermeintlichen Würde willen gegen den Zusammenhang der Erkenntnis zum Ganzen ängstlich sich abkapselt. Das Desinteressement des Logikers an der 'Veränderung der Weltvorstellung' dankt allein dem Schillern von deren Begriff den Schein seiner Evidenz. Mit Recht bekümmert die Logik sich nicht um die Veränderung der Weltvorstellung als bloßer Vorstellung; mit Unrecht jedoch, soweit diese Vorstellung von der Veränderung der Welt ist. Das 'objektive Recht, mit dem sich die Weltvorstellung der Wissenschaft jeder anderen gegenüberstellt', hat nicht, wie Husserl es möchte, seinen gottgewollten Grund in der 'Idee der Wissenschaft', sondern findet Maß und Grenze am Vermögen der Wissenschaft, ihren Gegenstand zu erkennen. Dazu hilft ihr die Arbeitsteilung und verhindert sie daran. Husserls starrer Objektivismus des Logischen bewährt sich als ein sich selbst verborgener Subjektivismus auch insofern, als die Idee der Wissenschaft, das vom menschlichen Bewußtsein den Gegenständen auferlegte Ordnungsschema, behandelt wird, als wäre das in diesem Schema angezeigte Bedürfnis die Ordnung in den Gegenständen selbst. Jede statische Ontologie hypostasiert naiv das Subjektiv Kategoriale.« (MdE 82)

[194] LpD 438.

[195] ibid.

[196] »Als Waren , Geld und Kapitalfetisch verkehrt der kapitalistische Produktionsprozeß auf allen Stufen ökonomische Kategorien zu einem platonischen An sich und erzeugt jenen objektiven Schein der Ideologie, der erst sein Funktionieren garantiert: ohne Warenfetisch keine Warenzirkulation. Noch einmal reflektiert diesen bereits ideologisch in sich scheinenden Prozeß die Wissenschaften von der Gesellschaft, vorab die bürgerliche Ökonomie. Wie sich in ihr die falsche Wirklichkeit unmittelbar abbildet, so mittelbar in den religiösen und philosophischen Vorstellungen, die das in der gesellschaftlichen Wirklichkeit bereits Hypostasierte noch einmal hypostasieren. Sie lösen die Phänomene der Verdinglichung ganz von ihrem ökonomischen Grund ab, und verklären sie zu obersten Gründen. Auf Grund dieser kontemplativen Abhängigkeit findet Ideologie ihre äußerste Grenze in der korrekten Abbildung des falschen Bestehenden. Im Maße der Unbewußtheit ihrer praktischen Wurzeln sperrt sie sich daher gegen den Gedanken, der das Bestehende kritisch übersteigt und sich in der revolutionären Tätigkeit mit der gesellschaftlichen Praxis versöhnen will. Revolutionäre Praxis ist gegenläufig zur entfremdeten: die eine befreit die andere aus ihrer falschen Gestalt und beseitigt in einem jene reale Abstraktion, von der die ideologische sich herleitet. Erst die hergestellte Einheit von Theorie und Praxis würde den ideologischen Schleier zerrissen haben. Diese Einheit von Theorie und Praxis gehört zu den Begriffen, die aus der bestimmten Negation der bestehenden Verhältnisse gewonnen werden. Sie besagt nicht mehr, als daß die Menschen, wenn sie etwas tun, wissen können, was sie tun; während sie, unter Voraussetzung der entfremdeten Praxis und des ideologischen Bewußtseins, von dem, was sie tun, nicht eigentlich wissen, und noch da, wo sie es wissen können, schwerlich in ihrem Tun sich danach richten können.« (LpD 437/8)

[197] LpD 451.

[198] »Einerseits haben sich wichtige ökonomische Prognosen des Marxismus nicht erfüllt. Damit scheint er als ökonomische Theorie widerlegt und nur als eine von ihren ökonomischen Elementen gereinigte Philosophie der Diskussion wert zu sein. Andererseits ist im Marxismus selbst das Verhältnis von Philosophie und Sozialwissenschaften nirgends zuverlässig geklärt worden. Als Georg Lukács und Karl Korsch das Versäumte schließlich nachzuholen versuchten, gelang die Rettung der philosophischen Elemente im Marxismus nur mehr um den Preis einer fragwürdigen Hegelianisierung.« LpD (450)

[199] Ph.d.G. 347. Adorno: »Es ging um die Vergottung der Geschichte, auch bei den atheistischen Hegelianern Marx und Engels.« (ND 315)

[200] LpD 439.

[201] LpD 455.

[202] Vgl. etwa der Briefwechsel Adorno/Benjamin: jetzt in Walter Benjamin, GS, V 2, S. 1127 ff.

[203] 1981 sagt er, rück und vorausblickend zugleich: »De weg van de twijfel die Adorno opgaat dient plaats te maken voor een herformulering van de problemen, zoals die in het Zeitschrift für Sozialforschung gesteld zijn. Dit moet niet gebeuren met behulp van een bewustzijnstheoretisch, nog altijd an Hegel gelieerd conceptueel kader, maar op basis van een taaltheoretisch en communicatietheoretisch kader.« (»Der von Adorno eingeschlagene Weg des Zweifels, muß durch eine Reformulierung von Problemen, so wie sie in der Zeitschrift für Sozialforschung gestellt sind, ersetzt werden. Daß darf nicht auf Grund einer bewußtseinstheoretischen, immer noch an Hegel sich orientierenden Begrifflichkeit geschehen, sondern auf Grund eines sprachtheoretischen, kommunikationstheoretischen Rahmenwerks«.) Habermas: Marxisme en filosofie, S. 36 (Interview mit R. Görtzen).

[204] Z.B. der Gegensatz von Philosophie und Wissenschaft oder die für die Sozialwissenschaften ungelöste Kontroverse zwischen Verstehen und Erklären: »Fetscher macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die Dialektik auf dem Gebiet der Naturwissenschaften niemals, wie Engels sich einbildet, eine 'Methode zur Auffindung neuer Resultate' sein kann, sondern allein Instrument der philosophischen Deutung von Forschungsergebnissen. Der von den Naturwissenschaften 'erklärte' Prozeß wird durch eine dialektische Interpretation 'verstehbar'.« (LpD 458)

[205] Die Bedeutung, die er der Anthropologie als Gegengewicht zu Hegel und Marx beimißt, steht in eigentümlichem Kontrast zu den Publikationen, die diesem Thema explizit gewidmet sind; es kommt eher indirekt, durch die Intensität, mit der er sich mit Freud, Luhmann, Parsons und G.H. Mead befaßt, zum Ausdruck. Es ist kaum bemerkt worden, daß er zwischen seiner Frankfurter Antrittsvorlesung und der Veröffentlichung von Erkenntnis und Interesse (1968) sich intensiv mit der Paleoanthropologie, Genetik, Ethologie (Dobzhansky, Huxley, Teilhard de Chardin, Waddington, Kluckhohn, Kroeber, Malinowsky, Lorenz) auseinandergesetzt hat und daß der Begriff »Erkenntnisleitendes Interesse« aus der Gegenüberstellung von Marx und Darwin gewonnen wird. Das hat seine geistesgeschichtlichen Gründe. Autoren wie Kautsky haben nicht verhindern können, daß Darwin Eigentum der Reaktion wurde; selbst in der Marxrezeption der sechziger Jahre wurden anthropologische Themen kaum vertreten und wenn, dann entweder durch einen synchron verfahrenden Strukturalismus (Ausnahme: Godelier) oder indirekt durch Freud (Fromm, Marcuse, Dahmer, Alfred Lorenzer, Mitscherlich). Die Vermutung, daß für viele Autoren die Erinnerungen an den Sozialdarwinismus zu schmerzhaft waren, um an Anthropoiden oder Genetik viel Behagen empfinden zu können, ist vielleicht nicht allzu abwegig; sicher spielte neben peinlichen Erinnerungen an Engels' »Naturdialektik« auch die philosophische Einsicht, daß es eine ahistorische »Natur« des Menschen kaum geben kann, eine Rolle. Wichtiger aber scheint mir ein anderer Umstand: die Impulse zu einer systematischen Auseinandersetzung mit Marx (von der unter Handlungszwang stehenden politischen Debatte abgesehen) sind nach dem zweiten Weltkrieg von Philosophen und Sozialwissenschaftlern (Soziologen, Psychologen, Historikern, Ökonomen) ausgegangen, nicht von Naturwissenschaftlern. Faktisch haben Physiker, Chemiker, Biologen erkenntnistheoretische, philosophische oder politische Themen – wenn überhaupt mit ihnen konfrontiert – unabhängig von der dialektischen Tradition bearbeitet (was auch daran abzulesen ist, daß Ökologie und Atomenergie Realitäten darstellen, die mit einer völlig anderen Begrifflichkeit bearbeitet werden, als z.B. während den sechziger Jahren Vietnam). In der Anthropologie (im 'anderen' Lager, sozusagen) führt die explizite Verbindung von Darwinismus und Erkenntnistheorie (trotz wichtiger Vorarbeiten durch Huxley, de Chardin und Bertalanffy) erst Konrad Lorenz und seine Schule durch und selbst hier ist die für den Darwinismus typische Verbindung von verblüffender empirischer Detailkenntnis mit philosophischer Einfalt kaum überwunden worden. Die Arbeiten von dem durch Habermas inspirierten Klaus Eder (auf die sich Habermas später stützen wird: RHM) sind immer noch zu den ganz wenigen zu zählen, die ernsthaft Parallelen und Differenzen zwischen der Marxschen Dialektik und den Darwinschen Anpassungsprozessen aufgespürt haben; auch er aber ist kein geschulter Biologe. Die Rothacker Schule (Habermas eingeschlossen) knüpft in den fünfziger Jahren an Scheler, Plessner und Gehlen an, d.h. an jene ältere Tradition, die empirische Forschungsergebnisse auf lebenspraktischen 'Sinn' hin hinterfragen; ein Unternehmen, das gegen empiristische Vorurteile gefeit bleibt, aber diesen Vorteil auch teuer erkauft: philosophisch bleibt es idealistisch spekulativ und bemerkt nicht, daß die empirische Forschung Darwins ursprüngliche Einsicht allmählich in Richtung eines präziseren kommunikations und lerntheoretischen Stufenmodells des Naturgeschehens revidiert hat. Habermas selbst hat nach Erkenntnis und Interesse diesen systematischen Impuls – den Anschluß an Darwin – nicht ganz aufgegeben (vide: Luhmann Auseinandersetzung); er wurde aber allmählich durch die Themen aus Strukturwandel der Öffentlichkeit, der Linguistik und der Weberrezeption verdrängt, und eine klärende Diskussion über den eigentlichen Inhalt von Erkenntnis und Interesse ist nie so richtig in Gang gekommen: ob Darwin und Freud eine konkurrenzfähige Alternative zur Politischen Ökonomie bieten könnten? (Vgl. dazu die Bemerkungen von Jaeggi und Honneth: »Zur evolutionstheoretischen Deutung des Historischen Materialismus«, in: Theorien des Historischen Materialismus, S. 453, und die darauffolgenden Artikel von Wellmer, Eder, und Döbert; auch Axel Honneth, Hans Joas: Soziales Handeln und menschliche Natur, S. 9.) Die offizielle Systemtheorie (Bertalanffy, Luhmann, Parsons) ist, wie Döbert (1973) zeigte, nie soweit gekommen, daß sie ein Äquivalent zum Begriff der 'Realabstraktion' anbieten konnte; ihre eigenen objektivistischen Prämissen hindern sie daran, systematische Änderungen von Weltbildstrukturen als Faktor im Evolutionsprozeß auffassen zu können. Habermas hat die Ungereimtheiten eines zu ökonomistisch verfahrenden Marx und einer zu abstrakt verfahrenden Systemtheorie dann durch seine Weberrezeption auszugleichen versucht; er scheint aus Eders Arbeiten die Schlußfolgerung gezogen zu haben, daß eine alternative Systemtheorie noch weniger Erfolgschancen hat als eine immanent an Weber anschließende Theorie des kommunikativen Handelns. Das scheint mir fragwürdig; jedenfalls diskussionsbedürftig.

[206] KuK 91.

[207] Er hat es, um mit Adorno zu reden, nicht zur Branche verdinglicht. (ND 327)

[208] KuK 93.

[209] KuK 96.

[210] Zum Vergleich: Horkheimers »Bemerkungen zur philosophischen Anthropologie«, ZfS 4. Schon Horkheimer wollte eine »Einbeziehung der Anthropologie in eine dialektische Theorie der Geschichte«. (S. 9)

[211] KuK 110.

[212] Über den Habermas'schen Satz 'die Leistungen des tranzendentalen Subjekts haben ihre Basis in der Naturgeschichte der Menschengattung' schreibt Theunissen: »Wohl wehrt er sich gegen das naturalistische 'Mißverständnis' dieser These. Doch klagt ihn gerade seine Verteidigung an.« Theunissen (1969) S. 23 Vgl. meinen Einwand gegen Schnädelbach: S. 3, Fußnote 5.

[213] Vgl. EuI 373.

[214] »Die Idee einer unmittelbar bezeugten Realität und einer manifesten Wahrheit hat der erkenntniskritischen Reflexion nicht standgehalten. Der Anspruch der Sinneserfahrung auf letztgültige Evidenz ist seit Kants Nachweis der kategorialen Elemente unserer Wahrnehmung abgewiesen. Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit, Peirces Analyse der in Handlungssysteme eingelassenen Wahrnehmung, Husserls Explikation der vorprädikativen Erfahrung und Adornos Abrechnung mit der Ursprungsphilosophie haben von verschiedenen Ausgangspunkten her den Nachweis erbracht, daß es unvermitteltes Wissen nicht gibt. Die Suche nach der originären Erfahrung eines evidenten Unmittelbaren ist vergeblich.« (LSW 43)

[215] Vgl. »Über das Subjekt der Geschichte« (KuK 389) und EuI 380: »In welchem Sinne dürfen wir in einer Konstitutionstheorie der Erfahrung von einer 'transzendentalen' Begründung der Erkenntnis (und einer Konsensustheorie der Wahrheit) sprechen, wenn trotz rational nachkonstruierbarer Regelkompetenzen ein durch diese Kompetenzen ausgezeichnetes Subjekt jenseits der 'empirischen', natürlich entstandenen und gesellschaftlich gebildeten Subjekte nicht angenommen werden kann? Angenommen, das transzendentale Bewußtsein sei eine Hypostasierung – durch welche 'empirischen' Einheiten darf es dann substituiert werden: durch partikulare Forschergruppen, durch die universale Gemeinschaft aller Forscher, durch 'die' Gesellschaft im Sinne eines sich konstituierenden Gattungssubjektes oder durch Gesellschaft als eine in sozialer Evolution befindliche Gattung? Wenn es sinnvoll ist, die transzendentalen, also in reflexiver Einstellung nachkonstruierbaren Regelsysteme von den Randbedingungen und Mechanismen zu unterscheiden, mit denen wir erstens die Entstehung dieser Universalien, sodann den Erwerb der entsprechenden Kompetenzen und schließlich den Bildungsprozeß der durch Sprach und Handlungsfähigkeit ausgezeichneten Subjekte erklären können – werden die Evolutionstheorien, in denen wir solche Erklärungen vornehmen, die Form objektivierender Wissenschaften haben können, und würde sich, soweit das der Fall sein könnte, der Sinn von 'objektivieren' ändern müssen? Und schließlich: wie ist die Einheit der Vernunft zu denken, wenn wir nicht nur, wie Kant, die theoretischen von der praktischen unterscheiden, sondern – entgegen der Architektonik des Kantischen Systems – einerseits von differentiellen Gegenstandsbereichen ausgehen und ein pragmatisches von einem kommunikativen Apriori unterscheiden, und andererseits die Konstitution der Gegenstände möglicher Erfahrung der argumentativen Einlösung diskursiver Geltungsansprüche gegenüberstellen, um die handlungsbezogene Interpretation der Erfahrung von Argumentation zu unterscheiden? Die Antworten auf diese Fragen müssen zu einer Revision des Begriffs des Transzendentalen führen.«

[216] Vgl. RHM 149.

[217] Es lohnt sich, Passagen aus der »Deutschen Ideologie« unter diesem Aspekt sich wieder vor Augen zu führen. Sie kommen zu ihrem Recht, wenn man bedenkt, daß es Marx darum geht, gegen die Hegelsche Teleologie einen Begriff der Menschengattung zu verteidigen, der beides ist: zukunftsoffen und nicht resignativ. Die Evolution der Gattung wird nicht von Geisterhand gesteuert (Hegels 'Kausalität des Schicksals'), sondern ist kontingent; sie ist durch menschliche Entscheidungen beeinflußbar. Daß dies überhaupt erwähnenswert ist, ja, laut und öffentlich gesagt werden muß, hängt für Marx mit einem anderen Umstand zusammen: die Evolution bedient sich kultureller Gebilde, Weltanschauungen, Ideologien. Nur wer im Verlauf einer philosophischen Selbstreflexion die Partikularität der eigenen Kultur und der eigenen 'Klassen' interessen gewahr wurde, hört auf, 'Träger' und Vollzugsorgan von blinden, objektiven Mächten zu sein. (Er wird, mit Adorno zu sprechen, des 'Nicht identischen' an der eigenen Kultur gewahr.) Die schon im 19. Jahrhundert sich abzeichnende nationale und internationale Polarisierung ('objektiver Widerspruch') bedarf der theoretischen Erklärung; es sind nicht Schicksalsmächte, sondern Phänomene, die als Äußerung eines (beeinflußbaren) Evolutionsprozesses verstanden werden müssen. 'Wirklich' hat für Marx daher diese doppelte Bedeutung: a) eine wissenschaftliche Analyse des Evolutionsprozesses soll anstelle der Hegelschen Subjekt/Objekt Dialektik nun wirklich die schon damals beobachtbaren unheilvollen Antagonismen erklären können; und b) es bezeichnet ein schlichtweg anti ideologisches Pathos – Vorwegnahme der Wiener Schule –, das im Namen der objektiven Wissenschaft mit allen Ideologien, allen 'Einbildungen', aller 'Metaphysik' und allen 'Überbauphänomenen' radikal aufräumen will. Das Resultat ist aber, daß Marx unter 'Produktion' zwei Prozesse abhandeln muß, die nicht auf der gleichen Weise einen erfahrungswissenschaftlichen Zugang erlauben: Evolutionsprozeß und Sozialisationsprozeß. Die Lebensmittelproduktion auf Hominiden Ebene ist ein höchst komplexer Vorgang, der ohne einen radikal anderen als den in Primatengesellschaften vorherrschenden Lern und Anpassungsprozeß nicht denkbar ist; sie setzt Ritual, Sprache, einen hohen Grad von Individuierung schon voraus; sie ist kein 'Letztes'. Daß Marx die Produktion als ein 'Letztes' auffaßt, erklärt sich eher dadurch, daß er die Ziele der Arbeiterbewegung in die Urgeschichte hineinprojiziert, sie als 'natürlich' verklärt; dadurch verschwindet der Unterschied zwischen Technik und Psychologie: »Die Voraussetzungen, mit denen wir beginnen, sind keine willkürlichen, keine Dogmen, es sind wirkliche Voraussetzungen, von denen man nur in der Einbildung abstrahieren kann. Es sind die wirklichen Individuen, ihre Aktion und ihre materiellen Lebensbedingungen, sowohl die vorgefundenen wie die durch ihre eigene Aktion erzeugten. Diese Voraussetzungen sind also auf rein empirischem Wege konstatierbar. Die erste Voraussetzung aller Menschengeschichte ist natürlich die Existenz lebendiger menschlicher Individuen. [gestrichen: Der erste geschichtliche Akt dieser Individuen, wodurch sie sich von den Tieren unterscheiden, ist nicht, daß sie denken, sondern, daß sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren.] Der erste zu konstatierende Tatbestand ist also die körperliche Organisation dieser Individuen und ihr dadurch gegebenes Verhältnis zur übrigen Natur. Wir können hier natürlich weder auf die physische Beschaffenheit der Menschen selbst noch auf die von den Menschen vorgefundenen Naturbedingungen, die geologischen, orohydrographischen, klimatischen und andern Verhältnisse, eingehen. [gestrichen: Diese Verhältnisse bedingen aber nicht nur die ursprüngliche, naturwüchsige Organisation der Menschen, namentlich die Rassenunterschiede, sondern auch ihre ganze weitere Entwicklung oder Nicht Entwicklung bis auf den heutigen Tag.] Alle Geschichtschreibung muß von diesen natürlichen Grundlagen und ihrer Modifikation im Lauf der Geschichte durch die Aktion der Menschen ausgehen. Man kann die Menschen durch das Bewußtsein, durch die Religion, durch was man sonst will, von den Tieren unterscheiden. Sie selbst fangen an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren, ein Schritt, der durch ihre körperliche Organisation bedingt ist. Indem die Menschen ihre Lebensmittel produzieren, produzieren sie indirekt ihr materielles Leben selbst. [...] Was sie sind, fällt also zusammen mit ihrer Produktion, sowohl damit, was sie produzieren, als auch damit, wie sie produzieren. Was die Individuen also sind, das hängt ab von den materiellen Bedingungen ihrer Produktion.« (MEW 3, S. 20 ff.)

[218] Erich Fromm: »Über Methode und Aufgabe einer analytischen Sozialpsychologie«. ZfS, Jg. 1. (1932). Horkheimer: »Bemerkungen zur Philosophischen Anthropologie«. ZfS, Jg. 4. Adorno: »Die Idee der Naturgeschichte«. GS, Bd. 1. Vor allem natürlich die Schriften von Marcuse.

[219] KuK 110.

[220] Vgl. AWD 159.

[221] TuP 228.

[222] Ein geeignetes Stichwort, um sich die Differenz zu der anthropologisierenden Erkenntnistheorie des neunzehnten Jahrhunderts vor Auge zu führen. Auch der 'physiologische Neukantianismus' (Helmholz, Johannes Müller, F.A. Lange) orientierte sich nämlich unmittelbar an den philosophischen Implikationen naturwissenschaftlicher Ergebnisse, in erster Linie an denen der Sinnesphysiologie. Ist die uns zugängliche Erscheinungswelt nicht eine von uns schlechterdings unabhängige Dingwelt, sondern ein Produkt unseres Erkenntnisapparats – wie die experimentell verfahrende Physiologie Kants Lehre eindrucksvoll zu bestätigen schien –, dann ist der naturwissenschaftliche Objektivismus nicht länger haltbar. Er wird dann nicht mehr 'von außen' her, von der Philosophie, von der Erkenntnistheorie her in Frage gestellt, sondern gleichsam von innen her ausgehöhlt, durch das, was seinem eigenen Credo zufolge als apodiktisch wahr gelten soll: die empirischen Forschungsresultate selbst. Das war jener früheren Generation in aller Klarheit und Schärfe präsent. (»Sehen wir nun zu, was sich vom Materialismus noch halten läßt!« F.A. Lange: Geschichte des Materialismus, Bd. 2, S.851.) Der Widerspruch, mit dem sie sich schon auseinandersetzen mußten, ist klar; einerseits können die Ergebnisse der Neurophysiologie kaum ernsthaft bezweifelt werden; akzeptiert man sie aber andererseits, dann wird gleich jenes Postulat unhaltbar, von dem auch die Gültigkeit des neurophysiologischen Wissens selbst abhängt, nämlich die Existenz einer vom Subjekt unabhängigen 'Außenwelt'. Anders als für die Linie, die über Feuerbach zu Marx und zu den Hegelmarxisten führt, ist dieser Widerspruch für die Neukantianer nie Anlaß gewesen, ein Analogon zu dem auszuarbeiten, was die Dialektik einen 'objektiven' Widerspruch nennt. Stattdessen ist sie über resignierende, skeptische und sogar nihilistische Schlußfolgerungen nie hinausgekommen – erst der späte Husserl stellt wieder eine Verbindung her zwischen einer objektiven, gesellschaftlichen Krise und der internen Struktur der Wissenschaften selbst, d.h. erst er (in der neokantischen Tradition) läßt wieder einen außerhalb des formallogischen Zusammenhangs liegenden Objektbegriff zu.

[223] Vgl. TuP 234.

[224] RHM 57. Auch MKH 9.

[225] Man muß Sätze wie die folgenden vor Augen haben, um zu sehen, daß der Versuch, Biologie und Erkenntnistheorie 'zusammenzudenken', kein Naturalismus (Theunissen) zu sein braucht. Sie nehmen zentrale Themen aus Habermas' »Erkenntnis und Interesse« vorweg: »Kraft der Logik entringt sich das Subjekt der Verfallenheit ans Amorphe, Unbeständige, Vieldeutige, indem es der Erfahrung sich selbst, die Identität des sich am Leben erhaltenden Menschen als Form aufprägt und an Aussagen über die Natur nur soviel gelten läßt, wie von der Identität jener Formen einzufangen ist. Solcher Interpretation der Logik wäre die Geltung, Rationalität selbst, nicht länger irrational, kein unbegreifliches und bloß hinzunehmendes An sich, sondern die über alles Dasein mächtige Forderung ans Subjekt, nicht in Natur zurückzufallen, nicht zum Tier zu werden und jenes Geringe zu verlieren, wodurch der Mensch, sich selbst perpetuierendes Naturwesen, über Natur und Selbsterhaltung wie immer ohnmächtig doch hinausreicht. Zugleich aber ist die logische Geltung objektiv, indem sie, um Natur beherrschen zu können, dieser sich anmißt. Jede logische Synthesis wird von ihrem Gegenstand erwartet, aber ihre Möglichkeit bleibt abstrakt und wird einzig vom Subjekt aktualisiert. Beide bedürfen einander. Im logischen Absolutismus ist mit Grund angemeldet, daß die Geltung, oberstes Instrument der Naturbeherrschung, in dieser nicht sich erschöpft. Was in der logischen Synthesis von Menschen getan, was zusammengebracht wird, bleibt nicht nur der Mensch, nicht die leere Form von dessen Willkür. Sondern vermöge der Gestalt dessen, worauf die Synthesis sich erstreckt, und was ohne diese sich verflüchtigte, reicht die Synthesis übers bloße Tun hinaus. Urteilen heißt Ordnen und mehr als bloß Ordnen in eins.« (Adorno: MdE 87)

[226] Vgl. KPS 479: (Interview mit Gad Freudenthal): »Gerade wenn man einen solchen gesellschaftstheoretischen Begriff von Entfremdung oder Verdinglichung beibehalten möchte, muß man sehen, daß der Bezug auf den Produktionsprozeß zu eng geworden ist. Wir müssen die Argumente der Systemtheoretiker ernst nehmen. [...] ein gesellschaftstheoretischer Begriff der Entfremdung müßte heute im Sinne einer Kritik der instrumentellen und funktionalistischen Vernunft auf abstrakterer Ebene reformuliert, d.h. von der Ebene der Analyse der Warenform weggeführt werden.«

[227] Vgl. Schulz, PvW 336 ff.: »Vergeistigung und Verleiblichung«. Auch Honneth und Joas, op.cit, Einleitung.

[228] Tonbandaufzeichnung WS 66/67 (weiterhin zitiert als »TA«). Eine methodologische Bemerkung vorweg. Die 'Entstehung von Kultur', wie Habermas sie hier auffaßt, sprengt schon von vornherein das Bezugssystem des naturwissenschaftlich verfahrenden Evolutionismus, denn die Frage lautet offensichtlich nicht: wie setzt sich die biologische Evolution auf menschlicher Ebene fort, sondern: wie sind die transzendentalen Rahmen, die allen unseren Wahrnehmungen vorausgehen, selbst als Produkt der Naturgeschichte erklärbar? Ausgangspunkt ist folgendes Paradoxon: die Reflexionsphilosophie seit Kant hat die kategoriale Präformiertheit aller menschlichen Perzeption bis in die einfachsten Wahrnehmungsakte hinein bewiesen, aber diese 'transzendentale' Erfahrungskonstitution ist gleichzeitig eine empirisch psychologische Kompetenz, die auch als Merkmal einer biologischen Gattung verstanden werden muß. Empirisch muß diese transzendentale Erfahrungskonstitution als Produkt einer Naturgeschichte erklärbar sein, und zur selben Zeit wissen wir, daß das einzige Bezugssystem, das diese Erklärung erbringen könnte, nämlich die empirisch verfahrenden Naturwissenschaften, erkenntnistheoretischer Kritik nicht standhalten. Habermas hat m.a.W. früh gemerkt, daß eine Philosophische Anthropologie, die soweit fortschreitet, daß sie des Paradoxes gewahr wird, sich damit selbst die Lösung eines Problems zur Aufgabe stellt, das philosophiegeschichtlich auf den Übergang vom Objektiven Idealismus zum Materialismus zurückgeht: wenn er jetzt die »empirische Entstehung transzendentaler Lebenswelten« (TA 67) in der Nachfolge von Plessner und Gehlen wieder aufnimmt, dann im vollen Bewußtsein, daß er sich in den Fußstapfen von Feuerbach und vom jungen Marx bewegt.

[229] Vielleicht ein letztes Zitat, um jene metatheoretischen Voraussetzungen zu explizieren, die bei dem, was jetzt folgen wird, im Gedächtnis behalten werden sollten: »Man kann ausgehen von einem Vorbegriff der Kultur, der den Bedingungen der Erkenntniskritik genügt und auf dem Wege einer radikalisierten erkenntniskritischen Reflexion gewonnen werden müßte. Radikalisiert heißt: im Gegensatz zur limitierten Erkenntnistheorie des Kantischen Typs, aber auch zur positivistischen Wissenschaftstheorie endet die Reflexion, die nicht mehr an der Voraussetzung der gestärkten Erkenntnis des Subjekts festhält und die auch nicht die Unterscheidung von theoretischer und praktischer Vernunft inwendig vornehmen läßt, bei zugleich transzendentalen und materiellen Bestimmungen, d.h. sie führt einerseits zu Bestimmungen, die mit den transzendentalen Bestimmungen der Kantischen Philosophie das gemein haben, daß sie im reflexiven Rückstieg des Bewußtseins in sich selbst als die letzt instanzliche Bedingung möglicher Skepsis und zugleich möglichen Handelns angetroffen werden. Andererseits unterscheiden sie sich von den transzendentalen Bestimmungen darin: 1) daß sie Bedingungen eines Bildungsprozesses festlegen, in dem sich nicht nur jeweils eine Welt von Objekten, sondern auch die erkennenden und handelnden Subjekte selbst konstituieren; 2) daß sie an Leistungen festgemacht sind, die unter 'empirischen Bedingungen' selber entstanden sind, d.h. nicht voraussetzungslos, der Sphäre reiner Geltung zugehörig. Dabei heißt 'empirische Bedingung' nicht das, was unter transzendentaler Bestimmung als empirischer Vorgang erscheint, sondern bezeichnet die Genesis, die eine Konstituierung von Kategorien selber meint, aus der erst die Unterscheidung von transzendental und empirisch logisch hervorgehen kann; 3) Die Korrespondenzen zwischen physischen Merkmalen und Bestimmungen der Kultur verleihen auf diese Weise der organischen Ausstattung des Menschen jeweils einen spezifischen Sinn (als Konstitutionsbedingung von Kultur), ohne daß wir damit etwa implizieren würden, daß es sich hier um eine Entstehung von Kultur bereits unter empirischen Bedingungen handelt. In einem dritten Schritt können wir nun aber die in einem kulturellen Rahmen interpretierte Naturorganisation der Menschengattung als Bezugssystem wählen, um auf privativem Wege die natürliche Organisation der beobachtbaren Arten auf der nächst niederen Stufe der Evolution entsprechend zu interpretieren.« (TA 1)

[230] TA 23.

[231] TA 44.

[232] TA 47.

[233] TA 55.

[234] TA 61.

[235] TA 62.

[236] TA 76: »Wie [...] ist die neue Abhängigkeit des Organismus von handlungsorientierenden sprachlichen Symbolen zu denken? Gegenüber einem entdifferenzierten Antriebssystem gewinnt das Sprachsystem eine gewisse Selbstständigkeit. Es ist nicht nur eine Schaltung zwischen ausgelöstem Reiz und aktionsspezifischer mit angeborenen Verhaltensschematen gekoppelte Erregungsenergie, sondern in der Sprache ist das kollektive Gedächtnis der Gattung externalisiert, das durch historische Erfahrung angereichert wird und stammesgeschichtliche Resonanzen des Antriebssystems auf die Umwelt ebenso verarbeitet wie rückwirkend diesem Antriebssystem gegenüber auch normative Gewalt erlangt. Wenn signalisierte Bedeutungen auf animalischer Ebene von Bedürfnisdispositionen unmittelbar abhängen und die vorgesehenen Triebobjekte bloß anzeigen, haben die in Sprache semantisch verselbständigten symbolischen Bedeutungen die Kraft erlangt, rückwirkend, wie wir heute sagen, die Bedürfnisse auch zu interpretieren.«

[237] TA 58.

[238] TA 52: »[...] die schlechte Unendlichkeit der Empirie[...]«

[239] RHM 49: »Die Rolle der Philosophie im Marxismus«.

[240] Vgl. ND 266: »Kausalität als Bann«.

[241] ND 266: »Ihr fundamentum in re hat sie in der Identität, die als geistiges Prinzip nur Widerschein der realen Naturbeherrschung ist. In der Reflexion auf Kausalität wird Vernunft, welche diese in der Natur überall dort findet, wo jene von ihr beherrscht wird, auch der eigenen Naturwüchsigkeit sich bewußt als des bannenden Prinzips.«

[242] Vgl. RHM 204 und die Einleitung.

[243] Die im Anhang sich befindenden Tabellen gehen auf eine Seminararbeit zurück, für die ich die neuere Literatur in der Ethologie und Sozialisationsforschung durcharbeitete. Ausgangspunkt war Habermas' Beobachtung, daß alle drei, die Ethologie (seit Konrad Lorenz), die kognitivistische Psychologie (Piaget) und der Historische Materialismus, Annahmen über ihren jeweiligen Gegenstandsbereich teilen. Alle drei (wie weit ihre Voraussetzungen sonst divergieren mögen) gehen von einem höchst komplexen, in einem Entwicklungsprozeß sich befindenden, lernfähigen System aus, das unter bestimmten Bedingungen ein qualitativ neues 'Entwicklungs und Lernniveau' erreichen kann.

[244] TuP 232.

[245] TuP 228.

[246] ibid.

[247] ibid.

[248] ibid. 229.

[249] ibid. 229/230.

[250] Vgl. »Wozu noch Philosophie?« (PPP 15)

[251] TuP 243: »Für Marx hat sich das Problem eines solchen 'materialistischen' Selbstbewußtseins der Kritik nicht aus den immanenten Schwierigkeiten der positiven Wissenschaften ergeben, sondern in Anbetracht der politischen Folgen der zeitgenössischen Philosophie – und ihrer Folgenlosigkeit. Die Sozialwissenschaften hatten damals noch keineswegs einen Stand erreicht, auf dem sie der dialektischen Theorie den Spiegel ihrer aus dem Konkurs der Philosophie sehr wohl zurückbehaltenen Erbmasse hätte vorhalten können. In den Fragestellungen der Ökonomie des 18. Jahrhunderts und des beginnenden 19. war so viel philosophische Substanz eingegangen, daß die Kritik der Politischen Ökonomie auf deren eigenem wissenschaftlichen Boden stehen konnte, um von dort aus dem falschen Wissenschaftsanspruch der Philosophie den Prozeß zu machen. Die phänomenologische Erfahrung des Geistes sollte durch die kritische des gesellschaftlichen Lebenszusammenhangs ihres ideologischen Selbstverständnisses überführt, Philosophie sollte als Philosophie überholt werden. Heute kommen, umgekehrt, die positiven Wissenschaften mit der damaligen Philosophie in jenen 'idealistischen' Momenten überein, in denen überhaupt die traditionelle Theorie sich von der kritischen unterscheidet. Diese hält eine eigentümliche Stellung zwischen Philosophie und Positivismus derart inne, daß eine kritische Selbstaufklärung des Positivismus in die gleiche Dimension hineinführt, in die Marx sozusagen von der entgegengesetzten Seite hineingelangt ist.«

[252] Auch die Dialektik resigniert: »Wenn die Rede heute an einen sich wenden kann, so sind es weder die sogenannten Massen, noch der Einzelne, der ohnmächtig ist, sondern eher ein eingebildeter Zeuge, dem wir es hinterlassen, damit es doch nicht ganz mit uns untergeht.« (DA, zitiert nach Wellmer KGP 142)

[253] Dazu Adorno: »Wenn [...] in den fürs Klassenverhältnis prototypischen Ländern, zumal Nordamerika, über lange Perioden hin überhaupt kein Klassenbewußtsein mehr aufkommt, wofern es überhaupt je dort lebendig war; wenn die Frage nach dem Proletariat zum Vexierbild wird, so schlägt Quantität in Qualität um, und der Verdacht von Begriffsmythologie ist allenfalls durchs Dekret zu unterdrücken, nicht für den Gedanken zu beseitigen.« (Aus »Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?« GS 8, S. 359)

[254] Ich beschränke mich hier auf eine notgedrungen kurze Skizze der Habermasschen Philosophieinterpretation, um wesentliche Motive aufzuzeigen, die später in die Sprach und Kommunikationstheorie einfließen werden. Sie soll begründen, daß letztere nicht in jenem einfältigen Sinne mißverstanden werden darf, der auch in einem Teil der Sekundärliteratur anzutreffen ist, demzufolge Kommunikationstheorie Sprachtherapie sei (»Wir sollen öfters miteinander reden, dann wären wir nicht so unglücklich«) oder eine abstrakte Wissenschaftstheorie. Keines von beidem trifft zu: 'ohne metaphysische Rückendeckung leben' (Jaspers) heißt für Habermas so etwas wie: die Welt als Krisenzusammenhang erfahren können. Auf die Geltungsfrage – inwieweit diese Philosophieinterpretation etwa für Kant oder Hegel auch tatsächlich immanent nachgewiesen werden kann – will (und kann) ich hier nicht eingehen. Sie würde sich aber mit jenem Text befassen müssen, auf den Habermas sich mehrmals bezieht: Adorno's Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. (Vgl. auch »Drei Studien zu Hegel«: S. 304.)

[255] TuP 246.

[256] TuP 247. (Vgl. auch LSW 533 f.)

[257] ibid. 246.

[258] ibid. 247/248.

[259] »Solange sie [die Theoretiker F.v.G.] die Wissenschaft suchen und nur Systeme machen, solange sie im Beginn des Kampfes sind, sehen sie im Elend nur das Elend, ohne die revolutionäre umstürzende Seite darin zu erblicken, welche die alte Gesellschaft über den Haufen werfen wird. Von diesem Augenblick an wird die Wissenschaft bewußtes Erzeugnis der historischen Bewegung, und sie hat aufgehört, doktrinär zu sein, sie ist revolutionär geworden.« Marx, MEW Bd. 4: Das Elend der Philosophie, S. 143

[260] TuP 244.

[261] Vgl. auch Habermas' Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. (Vor allem Teil I: »Ein sozialwissenschaftlicher Begriff der Krise«, S. 9 pp.)

[262] TuP 248/249.

[263] TuP 249.

[264] ibid. 266/267.

[265] Die Differenz könnte vielleich an jenem berühmten Satz gezeigt werden, den auch Habermas anführt, und der »die eigentümliche Herrschaft der toten Arbeit über die lebendige« (ibid. 249) besagt. Nichts läßt erkennen, daß Marx dies in irgendeinem anderen Sinne gemeint hat, als eben eine Erklärung für den tendenziellen Fall der Profitrate – als Kausalerklärung also. Der Gedanke, daß dieser Satz auch im Sinne von 'Arbeit am toten Mythos' (eben: am Mythos einer universell gewordenen 'instrumentellen Vernunft') gelesen werden kann, liegt zwar nahe, wenn die entsprechende Stelle aus der Phänomenologie des Geistes zum Vergleich herangezogen wird, scheint Marx selber jedoch nicht in den Sinn gekommen zu sein. D.h.: Ausgangspunkt für die subjektive Seite der Reflexion ist für Marx – trotz der ersten Feuerbachthese – nicht der naturwissenschaftliche Gesetzesbegriff als solcher. Vom »Abstrakten zum Konkreten« aufsteigen (Grundrisse S. 21) versteht er als einen Vorgang in der objektiven Welt, als ein Seiendes, als 'Entstehungsprozeß des Konkreten selbst': er hat hier das Verhältnis zwischen Weltmarkt und konkreten Preisen vor Augen und nicht mehr das, worauf dieser Satz sich bei Hegel einmal bezog, nämlich auf die erkenntnistheoretische Konstitutionsfrage. Auch eine naturwissenschaftliche Kovarianzaussage ist aber ein Wissen; sie ist eine begriffliche Synthesis mit praktischem Zweck und kann nicht ohne ein denkendes Subjekt gedacht werden. Hier liegt, so scheint es mir, eine wesentliche Differenz zwischen Habermas und Marx.

[266] Wie nahe er sich an Adorno bewegt, zeigen übrigens diese Sätze: »So gewiß ohne wissenschaftliche Disziplin kein Fortschritt des Bewußtseins wäre, so gewiß paralysiert die Disziplin gleichzeitig die Organe der Erkenntnis. Je mehr Wissenschaft zu dem von Max Weber der Welt prophezeiten Gehäuse erstarrt, desto mehr wird das als vorwissenschaftlich Verfemte zum Refugium von Erkenntnis.« (Adorno: Einleitung zu: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, S. 27.)

[267] VuE 481: »Die konservative Regel der Beweislastverteilung täuscht über das Dilemma hinweg, daß uns das ängstliche Bestreben, provozierte Katastrophen um beinahe jeden Preis zu vermeiden, vor einer naturwüchsig sich anbahnenden, einer faschistischen Katastrophe nicht nur nicht beschützt, sondern ihr eher ausliefert.«

[268] Adorno: G.S. 8, Teilb. I, S. 369.

[269] TuP 9/10. (Nahezu identische Formulierung in LSW 532.)

[270] Vgl. auch AWD 166.

[271] Das notwendige 'know how' für die erfolgreiche Durchführung eines technischen Vorganges wird, insofern es im Modus der Sprache weitergegeben wird, als Anweisung kommuniziert: letztere haben die allgemeine Form von Bedienungsanleitungen oder Verfahrensempfehlungen, deren Sinn es ist, auch denjenigen, der über dieses 'know how' (noch) nicht verfügt, zu unterrichten, wie eine bestimmte Manipulation durchzuführen ist. Forschungsstrategien sind andererseits symbolische Sinnzusammenhänge, die, wenn sie auch mit Begriffen operieren, einen empirischen 'Bezug' haben, nicht selbst 'Seiendes' sind; deshalb ist die Wahl zwischen konkurrierenden Forschungsstrategien keine technische Anweisung (die u.U. 'gezeigt' oder vorgeführt werden könnte), sondern eine Entscheidung, die – wenn überhaupt – nur mit Gründen d.h. eben mit Argumenten gerechtfertigt werden kann. Der Konformismus im positivistischen Begriff der 'Methode', wie Wellmer exemplarisch am Beispiel des Kritischen Rationalismus gezeigt hat, geht zurück auf eine subtile Nivellierung zwischen diesen beiden Vorgängen: dadurch, daß er so tut, als sei ein wissenschaftlich theoretischer Fortschritt eine Anweisung für eine technische Manipulation, immunisiert sich dieser Methodenbegriff von dem Druck, sich selbst als das zu rechtfertigen, was er objektiv ist, nämlich eine Forschungsstrategie unter anderen. Vgl. Wellmer: Methodologie als Erkentnistheorie (Kapitel III: »Poppers Methodischer Konventionalismus«, S. 84 ff.)

[272] Ph.d.G. 470.

[273] EuI 9: »Daß wir Reflexion verleugnen ist der Positivismus«.

[274] EuI 378: »In diesem Buch habe ich in Form einer Argumentationsgeschichte darzustellen versucht: a) daß mit Kants Analyse der notwendigen subjektiven Bedingungen möglicher Erfahrung ein Typus nicht objektivistischer Begründung geschaffen worden ist, den keine als Erkenntnistheorie auftretende Wissenschaftstheorie ohne willkürlichen Abbruch der Reflexion wird vernachlässigen dürfen; b) daß die Nachfolger Kants die transzendentalen Bedingungen (Kategorien und Anschauungsformen) wie auch das Subjekt selber, das unter diesen Bedingungen die synthetischen Leistungen vollzieht, nicht länger als gegeben hinnehmen, sondern als generiert begreifen – freilich so, daß sie idealistisch das Sichwissen eines schon reflexiven Wissens zum Autor jenes Erzeugungsprozesses erheben; c) daß Marx die Schwierigkeiten eines absoluten Anfangs vermeidet, indem er die Entstehungsgeschichte der Konstituentien möglicher Erfahrung auf den Prozeß der gesellschaftlichen Reproduktion der Gattung zurückführt – freilich ohne in der Konsequenz dieses Ansatzes Erkenntnistheorie als Gesellschaftstheorie zu begründen; d) daß der Positivismus von Comte bis Mach angesichts der Krise der Erkenntnistheorie die Forderung nach reflexiver Begründung der Erkenntnis überhaupt zugunsten des Objektivismus preisgibt (dessen Programm allerdings erst im Szientismus der sprachanalytischen Philosophie in einer großartigen Bewegung des Gedankens von Russell und – dem frühen – Wittgenstein über Carnap und Popper bis zur selbstironischen Pointe bei Sellars und Feyerabend durchgespielt worden ist); e) daß aber schon parallel zum älteren Positivismus (wenn auch nicht unbeeinflußt von ihm) aus der Reflexion auf die natur und geisteswissenschaftlichen Forschungsprozesse Ansätze zu einer Wissenschaftstheorie hervorgehen, die die Form transzendentaler Begründung rehabilitieren, ohne idealistisch ein der natürlichen Entstehungs und der gesellschaftlichen Bildungsgeschichte entzogenes Subjekt der Erkenntnis in Anschlag zu bringen: Peirce untersucht das pragmatische Apriori handlungsbezogener Erfahrung von Dingen und Ereignissen, Dilthey das kommunikative Apriori der Erfahrung in sprachlich vermittelten Interaktionen; f) daß schließlich mit der Psychoanalyse eine Wissenschaft etabliert wird, die ungeachtet des szientistischen Selbstmißverständnisses ihres Begründers zum erstenmal einen methodischen Gebrauch von Selbstreflexion macht, wobei hier Selbstreflexion die Aufdeckung und analytische Aufhebung der Pseudo Aprioris unbewußt motivierter Wahrnehmungsschranken und Handlungszwänge bedeutet. Ich habe in meinem Buch die skizzierte Geschichte der Argumentation bis an die Schwelle der Konzeption einer transformierten Transzendentalphilosophie herangeführt.«

[275] Adorno: »Soziologie und empirische Forschung« in ders. (Hrsg.): Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, S. 81.

[276] Vgl. dazu Adorno: Drei Studien zu Hegel, S. 269.

[277] Vgl. etwa Adornos Einleitung, Der Positivismusstreit[...], ibid.

[278] Auch das ist nicht bloß zufällig: die antagonistische Totalität der Weltgeschichte kann – nach der Hegelschen Lehre – sowohl vom Subjekt als vom Objekt her aufgefaßt werden. Daß sie einander unvermittelt gegenüberstehen, ist ein Schein, der sich im Verlauf der philosophischen Analyse als eben dies erweisen soll, d.h. als von realen Widersprüchen erzeugter, objektiver Schein. Trotz einer nicht zu leugnenden Formalisierung, vor allem in seinen späteren Arbeiten, ist dieser Hegelsche Grundgedanke noch in der Theorie des kommunikativen Handelns erkennbar, wo die Diskurstypen dieselbe charakteristische Doppeldeutigkeit aufweisen wie bei Hegel die konkreten 'Entäußerungen' des objektiven Geistes: einerseits sind sie Formgesetze, deren Stringenz wir uns, um der Objektivität des Wissens willen, beugen müssen und andererseits sind sie Produkte einer kontingenten Gattungsgeschichte, deren Verlauf auch anders vorzustellen wäre.

[279] AWD 169.

[280] AWD 159.

[281] AWD 163.

[282] Ph.d.G. 490. Der Kritizismus habe, heißt es an einer von Adorno angeführten Stelle, dem »Nichtwissen des Ewigen und Göttlichen ein gutes Gewissen gemacht, indem sie [sc. 'die sogenannte kritische Philosophie'] versichert, bewiesen zu haben, daß vom Ewigen und Göttlichen nichts gewußt werden könne [...] Nichts ist der Seichtigkeit des Wissens sowohl als des Charakters willkommener gewesen, nichts so bereitwillig von ihr ergriffen worden als diese Lehre der Unwissenheit, wodurch eben diese Seichtigkeit und Schalheit für das Vortreffliche, für das Ziel und Resultat alles intellektuellen Strebens ausgegeben worden ist«. Adorno: Drei Studien zu Hegel (GS., Bd. 5, S. 281).

[283] Vgl. seine »Wahrheitstheorien« (in VuE), »Universalpragmatische Hinweise auf das System der Ich Abgrenzungen« (75b) und weitere, jetzt in Teil II der Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handels wieder abgedruckten Abhandlungen. Eigentlich ist die Diskurstheorie – wenn die kritischen Konnotationen, die der Begriff 'Erkenntnistheorie' über Hegel und Marx dazugewonnen hat, im Auge behalten werden – insgesamt eine 'Erkenntnistheorie', denn die soziologische Terminologie verbirgt keineswegs Motive, die auf den zweiten Teil der Großen Logik zurückgehen. Die Diskurstheorie will wie zuvor die konkreten Gestalten der Vernunft – sollen sie doch kommunikatives und instrumentelles Handeln heißen – beim Namen nennen, ohne weder der Konkretion einer positiven Geschichtskonstruktion noch der abstrakten Leere einer deduktiven Logik anheimzufallen. Instrumentelles, zweckrationales Handeln ist konzipiert als eine biologische Notwendigkeit, dessen apriorischer Charakter sich bis in die Sprache hinein belegen läßt – aber nicht im Sinne einer zeitlosen Ontologie, sondern als geschichtlich Gewordenes, als etwas prinzipiell Durchschaubares und Aufhebbares. Ohne weiteres bleibt in solchen Formulierungen ein klassischer Topos erkenntlich: das Apriori als das Aposteriori zu beweisen.

[284] Eine Akzentverschiebung, die nirgendwo klarer zum Ausdruck kommt als in den fünf knappen Thesen aus seiner Frankfurter Antrittsvorlesung von 1965: 1) »Die Leistungen des transzendentalen Subjekts haben ihre Basis in der Naturgeschichte der Menschengattung. [...]« 2) »Erkennen ist im gleichen Maße Instrument der Selbsterhaltung, wie es bloße Selbsterhaltung transzendiert. [...]« 3) »Die Erkenntnisleitenden Interessen bilden sich im Medium von Arbeit, Sprache und Herrschaft [...]« 4) »In der Kraft der Selbstreflexion sind Erkenntnis und Interesse eins. [...]« 5) »Die Einheit von Erkenntnis und Interesse bewährt sich in einer Dialektik, die aus den geschichtlichen Spuren des unterdrückten Dialogs das Unterdrückte rekonstruiert.« (TWI 161 f.)

[285] Denn, was die 'Universalpragmatik' (d.h.: die inhaltlich empirische Analyse kollektiver Identitätsbildungs und Zerstörungsprozesse) im Sinne hat, mag noch so viele Berührungspunkte mit der Hegelschen Logik oder der Konstitutionstheorie haben, sie ist aber dieses nicht mehr – und zwar auf Grund eben jenes 'turns' zur Empirie. Die Differenz drückt sich schon im Begriff der »Verständigung« aus; der erste Satz des Aufsatzes zur Universalpragmatik lautet: »Die Universalpragmatik hat die Aufgabe, universale Bedingungen möglicher Verständigung zu identifizieren und nachzukonstruieren.« (VuE 353) Geistesgeschichtlich steht dieser Satz in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erkenntnistheoretischen Programm, die 'Bedingungen der Möglichkeit des Wissens zu Bewußtsein' zu bringen, aber: ob eine Verständigung zwischen zwei oder mehr Subjekten zustande kommt, ist nunmehr ein empirisch pragmatisches Ereignis und eben keine interne Schlußfolgerung mehr im Sinne der formalen oder 'transzendentalen' Logik.

[286] Vgl. »Die Idee einer Erkenntnistheorie als Gesellschaftstheorie«: EuI 59 ff. In der Adornoschen Terminologie heißt das: Übergang zur Kontingenz. Vgl. MdE 90: »An der Unauflöslichkeit der Kontingenz kommt der falsche Ansatz der Identitätsphilosophie zutage: daß die Welt nicht als Produkt des Bewußtseins gedacht werden kann. Nur im Verblendungszusammenhang hat die Kontingenz ihre Schrecken; dem Denken, das diesem Zusammenhang entronnen wäre, würde das Kontingente zu dem, woran es sich stillt und woran es erlischt.«

[287] Adorno: Drei Studien zu Hegel, S. 262. Vgl. S. 264: »Ein Ich, das in gar keinem Sinn mehr Ich wäre, also jeden Bezugs auf das individuierte Bewußtsein und damit notwendig auf die raumzeitliche Person entriete, wäre ein Nonsens, nicht nur freischwebend und so unbestimmbar wie Hegel dem Gegenbegriff dazu, dem Sein, es vorwarf, sondern auch als Ich, nämlich als vermittelt zum Bewußtsein, gar nicht mehr zu fassen. Die Analyse des absoluten Subjekts muß die Unauflöslichkeit eines empirischen, nichtidentischen Moments daran anerkennen, das die Lehren vom absoluten Subjekt, die idealistischen Identitätssysteme als unauflöslich nicht anerkennen dürfen.«

[288] Vgl. jetzt R. Bubner: »Rationalität, Lebensform, Geschichte« in: Schnädelbach (Hrsg.): Rationalität. Frankfurt a. M., 1984. In der philosophisch soziologischen Kritik der Komplizität des Wissenschaftssystems mit den heutigen und zukünftigen Krisen erblickt Bubner nichts als die »philosophische Besserwisserei in praktischen Dingen [...]« (S. 216).

[289] EuI 14 ff.: »Hegels Kantkritik: Radikalisierung oder Aufhebung der Erkenntnistheorie«.

[290] Die englische Übersetzung von Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus trägt dann auch, folgerichtig, den bezeichnenden Titel: Communication and the Evolution of Society. Aber nur wenige Kritiker (Wellmer z.B.: KGP 146 f.) haben bemerkt, daß es um das Verhältnis zwischen dem im Wissenschaftssystem institutionalisierten Neokantianismus (im o.g. Sinne) geht und dem, was die Realgeschichte dieser Spezies – im Zeitalter der (wiederum von 'wertfreien' Wissenschaftlern entwickelten) Massenvernichtungswaffen – noch bescheren könnte. In diesem Sinne: 'Bewußtsein und Sein'.

[291] Unterschwellig bleibt das als Thema bis in die jüngste Debatte hinein aktuell: vgl. Habermas' Erwiderung auf R. Bubner: »Über Moralität und Sittlichkeit – was macht eine Lebensform 'rational'?« in: Schnädelbach (Hrsg.) Rationalität. op. cit., und »Kritik vs. Theorie – oder doch Kritische Theorie?« (VuE 491 ff.)

[292] Vgl. z.B. Ernst Schulin (Hrsg.): Universalgeschichte. Köln, 1974. Vor allem die Einleitung und die unter der Überschrift »Periodisierungsfragen« gesammelte Literatur (S. 384 f.).

[293] Pamela Utz: »Evolutionism revisited«; in Comparative Studies in Society and History, Bd. XV, S. 227. S.L. Washburn (Hrsg.): Classification and human Evolution. Chicago, 1961. Auch Rainer Döberts Kritik am Funktionalismus: Systemtheorie und die Entwicklung religiöser Deutungssysteme. Frankfurt a. M., 1973.

[294] »[...] mit Hilfe des praktischen Prinzips die Antinomien der Kontemplation auflösen«: dieser locus classicus bei Lukács ist hilfreich bei der Entschlüsselung der Habermasschen Argumentation.

[295] GuK 216: »Ist also die Verdinglichung die notwendige unmittelbare Wirklichkeit für einen jeden im Kapitalismus lebenden Menschen, so kann ihre Überwindung keine andere Form annehmen als die ununterbrochene, immer wieder erneute Tendenz, durch konkrete Beziehung auf die konkret zutage tretenden Widersprüche der Gesamtentwicklung, durch Bewußtwerden des immanenten Sinnes dieser Widersprüche für die Gesamtentwicklung die verdinglichte Struktur des Daseins praktisch zu durchbrechen. Dabei muß folgendes festgehalten werden: erstens, daß dieser Durchbruch nur als Bewußtwerden der immanenten Widersprüche des Prozesses selbst möglich ist. Nur wenn das Bewußtsein des Proletariats jenen Schritt zu zeigen imstande ist, dem die Dialektik der Entwicklung objektiv zudrängt, ohne ihn jedoch kraft der eigenen Dynamik leisten zu können, erwächst das Bewußtsein des Proletariats zum Bewußtsein des Prozesses selbst, erscheint das Proletariat als das identische Subjekt Objekt der Geschichte, wird seine Praxis ein Verändern der Wirklichkeit. Vermag das Proletariat diesen Schritt nicht zu tun, so bleibt der Widerspruch ungelöst und wird auf erhöhter Potenz, in veränderter Gestalt, mit gesteigerter Intensität von der dialektischen Mechanik der Entwicklung reproduziert.«

[296] »Both revolutionary self confidence and theoretical self certainty are gone, and not only because in the meantime bureaucratic socialism has turned out to be a worse variant of what was to be fought against.« Habermas: »A reply to my critics«, in: John B. Thompson und David Held (Hrsg.): Habermas – Critical Debates, London, 1982, S. 222. Dazu Albrecht Wellmer: »Die Auseinandersetzung des frühen Horkheimer mit der bürgerlichen Wissenschaft ist noch als Moment eines realen politischen Kampfes ein Kampf gegen diese Wissenschaft: mit einem kampfbereiten Proletariat und dem Wind der Geschichte im Rücken. Wenn Horkheimer sich auch über den Bewußtseinsstand des damaligen Proletariats keinen allzu großen Illusionen hingab, so konnte er es doch noch mit guten Gründen als revolutionäre Kraft in seine geschichtsphilosophische Rechnung einbringen. Er konnte daher auch sowohl gegenüber dem bürokratisch erstarrten Sozialismus wie gegenüber der bürgerlichen Wissenschaft seine ganze Hoffnung noch auf einen gleichsam nur dialektisch restaurierten Ur Marx setzen. Diese Hoffnung hat getrogen. Die späteren Fortbildungen der kritischen Theorie bei Adorno, Horkheimer und Marcuse stehen denn auch unter dem Eingeständnis des verlorenen Praxisbezuges: die kritische Theorie begreift sich als praktisch ohnmächtigen Protest gegen ein apokalyptisch sich abdichtendes System der Entfremdung und Verdinglichung und als den Funken, dessen Bewahrung in einer sich verfinsternden Welt die Erinnerung wachhält an das ganz Andere; dies Andere, dessen Einbrechen Gegenstand einer durchs Begreifen zugleich gelehrten und verzweifelten Hoffnung geworden ist. Die musik und literaturkritischen Arbeiten Adornos sind die faszinierendsten Dokumente dieser Phase der kritische Theorie; zugleich sind sie die deutlichsten Dokumenten ihrer prekären doppelten Isolierung: im Kontext der Wissenschaft und im Kontext der Politik. Habermas versucht, diese doppelte Isolierung der kritischen Theorie zu durchbrechen. Daraus erklärt sich seine eigentümliche und gegenüber derjenigen des frühen Horkheimer gänzlich veränderte Strategie. Aus dem Scheitern der revolutionären Bewegungen in Europa zieht er die Konsequenz, daß die kritische Theorie sich selber gegenüber kritisch werden muß, wenn sie den verlorengegangenen Zusammenhang mit politischer Praxis wiedergewinnen will. Die kritische Theorie kann sich auf diesen Zusammenhang nicht mehr nur berufen; sie muß ihn praktisch und theoretisch erst wiedergewinnen. Habermas' kritische Abrechnung mit der zeitgenössischen Wissenschaftstheorie erhält von daher einen doppelten Sinn: auf der einen Seite ist es ein Kampf um die kritische Seele der Wissenschaft, auf der anderen Seite ein Kampf um die wissenschaftliche Seele der Kritik – nicht im Sinne einer Konzession an das szientifische Wissenschaftsideal, wohl aber im Sinne einer Konzession an den antimetaphysischen und empiristischen Affekt der angelsächsischen Wissenschaftstheorie, in dem Habermas nicht nur handfeste Ideologie, sondern zugleich – paradox genug – ein Stück Aufklärung über Marx hinaus entdeckt. Bei Habermas versucht die kritische Theorie durch die Auseinandersetzung mit der analytischen Wissenschaftstheorie und Sozialwissenschaft hindurch ihre kritische Position neu zu bestimmen. Sie entdeckt das progressive und humane Moment in dem antimetaphysischen und selbstkritischen Pathos der 'Science' und trägt dem Rechnung: durch eine entschlossene Eliminierung sowohl der metaphysischen Restbestände der Marxschen Theorie wie auch der in der marxistischen Tradition dogmatisch geronnenen, aber geschichtlich überholten empirischen Gehalte dieser Theorie. Sie versucht, Marx kritisch rezipierend über Marx hinauszugehen.« (KGP S. 54 ff.)

[297] »Latenter Subjektivismus hat den Objektivismus der gesamten nominalistischen Aufklärungsbewegung kontrapunktiert, die permanente reductio ad hominem.« Adorno: PSS 12. Vgl. AT 498, ND 338, 378.

[298] »Der Kollektivsingular 'die Geschichte' verdankt sich der Bezugnahme auf ein fiktives Individuum in überlebensgroßem Format, als dessen Bildungsprozeß die Geschichte vorgestellt wird. Diese projektive Erzeugung höherstufiger Subjektivitäten erklärt sich wohl aus der Übertragung des in der Philosophie fortlebenden naturmythischen Einheitsdenkens auf die Sphäre der Geschichte. Die Geschichtsphilosophie hat die Kritik an der Ursprungsphilosophie (Adorno), in deren Zeichen sie angetreten ist, nicht radikal genug vollzogen, sie hat sich vom Erbe der Ontologie nicht vollends freigemacht. Darüber scheint Einigkeit zu bestehen; aber was folgt nun daraus: eine Radikalisierung des geschichtsphilosophischen Ansatzes – oder Komplementär und Rückzugstheoreme?« Habermas: LSW 534. (»Das Subjekt der Geschichte«) Vgl. Adorno: »Die Einheit der Weltgeschichte, welche die Philosophie animiert, sie als Bahn des Weltgeistes nachzuzeichnen, ist die Einheit des Überrollenden, des Schreckens, der Antagonismus unmittelbar. Konkret ging Hegel über die Nationen anders nicht hinaus als im Namen ihrer unabsehbar sich wiederholenden Vernichtung.« (»Die Einheit der Weltgeschichte«: ND 335 f.)

[299] Dazu Axel Honneth: »Adorno und Habermas. Zur kommunikationstheoretischen Wende kritischer Sozialphilosophie.«, in: Merkur 33 (H. 7), 1979, S. 648 65. »[...] auf die Differenzierung der nachidealistisch soziologischen Theorien bezieht sich Adorno beinahe allein noch ironisch. Habermas' Theorie verfährt geradezu umgekehrt, [...] weil er [...] den Diskussionszusammenhang der Forschergemeinschaft als Selbstaufklärungsprozeß begreift«, S. 659.

[300] RHM 157.

[301] RHM 163 f.

[302] RHM 164.

[303] Ibid. 165.

[304] Etwa W.W. Rostow: »Die fünf Wachstumsstadien – eine Zusammenfassung« in: Schulin (op.cit.): Universalgeschichte.

[305] Vgl. Rainer Döbert: »Methodologische und forschungsstrategische Implikationen von evolutionstheoretischen Stadienmodellen« in: Jaeggi and Honneth (1977).

[306] G.V. Childe: »Die Neolithische Revolution« in: Klaus Eder (Hrsg.): Seminar: Die Entstehung von Klassengesellschaften, Frankfurt a. M., 1973.

[307] RHM 166.

[308] ibid. 166.

[309] ibid.

[310] ibid.

[311] ibid. 167.

[312] ibid.

[313] ibid.

[314] ibid. 169.

[315] In der Einleitung fällt der Begriff »Identitätsformation« (RHM 27) – später wird er es »Verständigungsform« nennen: Vgl. unten, III 2.

[316] »Jedes Mitglied der Bourgeoisie, das die wissenschaftliche Wahrheit des historischen Materialismus zugegeben hätte, würde damit auch schon sein Klassenbewußtsein verloren haben, damit aber zugleich auch die Kraft, die Interessen der eigenen Klasse richtig vertreten zu können.« Lukács: GuK 231.

[317] Ph.d.G. 167: »Die Bewegung, worin das unwesentliche Bewußtsein dies Einssein zu erreichen strebt, ist selbst die dreifache, nach dem dreifachen Verhältnisse, welches es zu seinem gestalteten Jenseits haben wird: einmal als reines Bewußtsein, das andere Mal als einzelnes Wesen, welches sich als Begierde und Arbeit gegen die Wirklichkeit verhält, und zum dritten als Bewußtsein seines Fürsichseins.«

[318] Dies wäre eine mögliche Erklärung für die Doppeldeutigkeit auch im Reflexionsbegriff: einerseits wird er im Sinne eines internen Bildungsprozesses benutzt – als 'Bewegung des Begriffs', in dessen Verlauf der Einzelne die trügerische Scheinhaftigkeit des 'reinen Bewußtseins' (Marx: 'Ideologie') durchschaut, um zum wahren Wesen der Wirklichkeit zu gelangen – andererseits im Sinne von Massenbewegungen und politischen Kämpfen, als Synonym für Realgeschichte.

[319] Die ehrliche Entrüstung darüber, daß die Diskurstheorie doch eins von beiden sein müsse: entweder eine Wissenschaftstheorie oder eine Beschreibung von Forschungsinstitutionen, könnte als eine Art ironische Bestätigung dafür angesehen werden.

[320] Vgl. EuI 14: »So konnte der Positivismus die Verflechtung der Methodologie der Wissenschaften mit dem objektiven Bildungsprozeß der Menschengattung vergessen und auf der Basis des Vergessenen und Verdrängten den Absolutismus reiner Methodologie errichten.«

[321] Vgl. Alfred Schmidt: BNLM, S. 190/191: »Zum Verhältnis von Geschichte und Natur im dialektischen Materialismus«. Auch Marcuse (in: »Zum Begriff der Negation in der Dialektik«, Schriften 8, S. 195 f.): »Ich möchte Ihnen nun zu dieser These von Althusser die Gegenthese vorlegen, nämlich, daß auch die materialistische Dialektik noch im Bann der idealistischen Vernunft, in der Positivität bleibt, solange sie nicht die Konzeption des Fortschritts destruiert, nach der die Zukunft immer schon im Innern des Bestehenden verwurzelt ist; solange die Marxsche Dialektik nicht den Begriff des Übergangs zu einer neuen geschichtlichen Stufe radikalisiert, das heißt: die Umkehr, den Bruch mit der Vergangenheit und dem Bestehenden, die qualitative Differenz in der Richtung des Fortschritts in die Theorie einbaut. [...] Resultat dieser Hypothese: die Fragwürdigkeit des Begriffs der sich im Innern eines bestehenden Ganzen als Befreiung entfaltenden Negation. Damit aber auch Fragwürdigkeit dieses materialistischen Begriffs der Vernunft in der Geschichte.«

[322] »Bekanntlich sah sich Marx zunächst als Wissenschaftler; die Behauptung, daß auf den Kapitalismus das richtige Zusammenleben der Menschen folgen müsse, galt ihm als Produkt des intensiven Studiums der bestehenden Wirtschaft, als so notwendig wie nur je ein biologischer Prozeß. Die Entwicklung kann durch Katastrophen unterbrochen, zurückgeworfen, ja zerstört, in der Richtung jedoch nicht verändert werden.« Horkheimer: »Marx heute«, in: Gesellschaft im Übergang, S. 156.

[323] Vgl. Legitimationsproblemen im Spätkapitalismus, S. 50 ff.

[324] »Was uns heute von Marx trennt, sind historische Evidenzen, beispielsweise die Einsicht, daß es in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften keine identifizierbare Klasse, keine klar umschriebene soziale Gruppe gibt, die sich umstandslos als Repräsentant eines verletzten Allgemeininteresses auszeichnen ließe. Diese Einsicht hatte schon die ältere Generation der Frankfurter Theoretiker, der gleichzeitig der Faschismus und der Stalinismus vor Augen standen, von ihrem großen Anreger Lukács getrennt.« (VuE 479)

[325] Ph.d.G. 73.

[326] Vgl. Habermas: »Bewußtmachende oder rettende Kritik – die Aktualität Walter Benjamins«, in: Kultur und Kritik, S. 302.

[327] »Das technokratische Bewußtsein ist einerseits 'weniger ideologisch' als alle vorangegangenen Ideologien; denn es hat nicht die opake Gewalt einer Verblendung, welche Erfüllung von Interessen nur vorspiegelt. Andererseits ist die heute dominante, eher gläserne Hintergrundideologie, welche die Wissenschaft zum Fetisch macht, unwiderstehlicher und weitreichender als Ideologien alten Typs, weil sie mit der Verschleierung praktischer Fragen nicht nur das partielle Herrschaftsinteresse einer bestimmten Klasse rechtfertigt und das partielle Bedürfnis der Emanzipation auf seiten einer anderen Klasse unterdrückt, sondern das emanzipatorische Gattungsinteresse als solches trifft.« (TWI 88/89)

[328] Vgl. RHM 9.

[329] Der aus der idealistischen Philosophie stammende Begriff eines autonomen Ichs muß und kann in eine nicht länger idealistische Psychoanalyse und Entwicklungspsychologie 'hinübergerettet' werden: das ist der Grundgedanke auch bei der Rezeption der sozialpsychologische Studien aus den dreißiger Jahren: Fromm, Marcuse, Horkheimer, Adorno. Vgl: RHM 63 ff.

[330] RHM 14 ff.

[331] Vgl. Schnädelbach: RuD 18: »Philosophie und Reflexion in der Cartesianischen Tradition«.

[332] Vgl. VuE 200; auch Entwicklung des Ichs, Einleitung, und »Moralentwicklung und Ich Identität«, RHM 62.

[333] Vgl. Teil II von VuE: »Notizen zur Entwicklung der Interaktionskompetenz« und »Überlegungen zur Kommunikationspathologie«.

[334] Später wird er sie 'Handlungstypen' nennen – eine frühere Fassung von TkH lautete entsprechend, die Verbindung zur realgeschichtlichen Dimension hervorhebend: »Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung«.

[335] Der Mimesisbegriff taucht bei Habermas selten auf; dennoch ist die damit bezeichnete Sache ein zentrales Motiv bei ihm, in der Ichanalyse nicht weniger als in der Gesellschafts und Geschichtstheorie. Zuweilen kommt es einem vor, man müßte Adorno Stellen wie die folgende vor Augen haben, um zu verstehen, worauf Habermas nun wirklich hinaus will: »Ist Rationalität insgesamt die Entmythologisierung mimetischer Verhaltensweisen [...] so kann es nicht wundernehmen, daß das mimetische Motiv in der Reflexion auf die Erkenntnis sich am Leben erhält; vielleicht nicht bloß als archaisches Rudiment, sondern weil Erkenntnis selber ohne den wie immer auch sublimierten Zusatz von Mimesis nicht konzipiert werden kann: ohne sie wäre der Bruch von Subjekt und Objekt absolut und Erkenntnis unmöglich.« (MdE 148)

[336] Vgl. Thomas Kesselring: Entwicklung und Widerspruch, Frankfurt a. M., 1981 und ders.: Die Produktivität der Antinomie. Hegels Dialektik im Lichte der genetischen Erkenntnistheorie und der formalen Logik. Frankfurt a. M., 1984.

[337] Vgl. den von Theodor Mischel herausgegebenen Band: Cognitive Development and Epistemology, London, 1971.

[338] In der Terminologie Hegels: die abstrakte Scheidung von Anschauung und Geist wird fürs erste Mal bewußt als Problem erfahren, d.h. als real existierende Form der Entfremdung. (Ph.d.G. 163: »Skeptizismus und das unglückliche Bewußtsein«) Aber die philosophiegeschichtlichen Anknüpfungspunkte an der älteren Dialektik sollen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Objektivismuskritik nicht länger ideengeschichtlich, sondern jetzt forschungsmethodologisch relevant geworden ist.

[339] Fromms Studien über den sadomasochistischen Charakter, Horkheimers über Autorität und Familie, Adornos über autoritäre Persönlichkeitstypen und Marcuses über Triebstruktur und Gesellschaft.

[340] Dazu Adorno: »Die Freudsche Psychoanalyse webt nicht sowohl am Schein von Individualität mit, als daß sie ihn so gründlich zerstört wie nur der philosophische und gesellschaftliche Begriff. Schrumpft nach der Lehre vom Unbewußten das Individuum auf eine karge Anzahl sich wiederholender Konstanten und Konflikte zusammen, so desinteressiert jene sich zwar mit Menschenverachtung am konkret entfalteten Ich, mahnt es aber an die Hinfälligkeit seiner Bestimmungen gegenüber denen des Es und damit an sein dünnes und ephemeres Wesen. Die Theorie des Ichs als eines Inbegriffs von Abwehrmechanismen und Rationalisierungen zielt gegen die gleiche Hybris des seiner selbst mächtigen Individuums, gegen das Individuum als Ideologie, welche radikalere Theorien von der Vormacht des Objektiven demolierten.« (ND 345)

[341] Geschichte der Philosophie, Bd. I, S. 101.

[342] Vgl. sein Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln.

[343] Anthropologische und ethologische Untersuchungen scheinen übrigens die These zu bestätigen, wonach es den höheren Primaten weniger an Lernfähigkeit mangelt (die immerhin erstaunlich groß ist), als an einem Mechanismus, um das einmal Erlernte kollektiv ausnutzen und an die darauffolgende Generation überliefern zu können.

[344] Auf dieses Phänomen der strukturellen Undifferenziertheit des 'mythischen' Denkens ist Habermas wiederholt zurückgekommen: vgl. RHM 26f, 98, 135, 150f. Vgl. auch TkH (II) 287/8: »Den modernen Beobachter beeindruckt die rituelle Praxis durch einen äußerst irrationalen Charakter. Diejenigen Aspekte des Handelns, die wir heute bei wachem Bewußtsein auseinanderzuhalten nicht umhin können, sind in ein und demselben Akt verschmolzen. Das Moment der Zwecktätigkeit tritt darin hervor, daß die rituelle Praxis Zustände in der Welt magisch hervorrufen soll; das Moment normenregulierten Handelns macht sich in dem Verpflichtungscharakter bemerkbar, der von den rituell beschworenen, zugleich anziehenden und abschreckenden Mächten ausgeht; das Moment expressiven Handelns ist in den standardisierten Gefühlsäußerungen ritueller Zeremonien besonders deutlich; schließlich fehlt auch nicht das Moment des Assertorischen, soweit die rituelle Praxis der Darstellung und Wiederholung von exemplarischen Vorgängen oder mythisch erzählten Originalszenen dient. Freilich gehört die rituelle Praxis schon zu einer soziokulturellen Lebensform, in der mit grammatischer Rede eine höhere Form der Kommunikation entstanden ist. Die Sprache bricht die Einheit teleologischer, normativer, expressiver und kognitiver Aspekte des Handelns auf. Allerdings schirmt das mythische Denken die rituelle Praxis gegen die Auflösungstendenzen ab, die auf sprachlichem Niveau (mit der Ausdifferenzierung von verständigungs und erfolgsorientiertem Handeln und der Umformung adaptiven Verhaltens in Zwecktätigkeit) auftreten. Der Mythos hält auf der Ebene der Interpretation dieselben Aspekte zusammen, die auf praktischer Ebene im Ritual verschmolzen sind. Eine Weltdeutung, die interne Sinn mit externen Sachzusammenhängen, Geltung mit empirischer Wirksamkeit konfundiert, kann die rituelle Praxis davor bewahren, daß das ununterscheidbar aus Kommunikation und Zwecktätigkeit produzierte Gewebe zerreißt. Daraus erklärt sich die Koexistenz mit alltäglichen Kooperationszusammenhängen, wo zielgerichtete Handlungen im Rahmen des familialen Rollensystems zweckmäßig koordiniert sind. Die in der Alltagspraxis gesammelten Erfahrungen werden im Mythos verarbeitet und mit den narrativen Erklärungen der Welt und Gesellschaftsordnung verknüpft.«

[345] Vgl. RHM 26/27: »Der Übergang zu staatlich organisierten Gesellschaften verlangt die Relativierung der Stammesidentitäten und den Aufbau einer abstrakteren Identität, die die Mitgliedschaft der Individuen nicht mehr auf gemeinsame Abstammung, sondern auf gemeinsame Zugehörigkeit zu einer territorial gebundenen Organisation zurückführt. Das geschieht zunächst durch Identifikation mit einer Herrscherfigur, die eine enge Verbindung mit und privilegierten Zugang zu den mythischen Ursprungsgewalten geltend machen kann. Im Rahmen mythischer Weltbilder gelingt die Integration verschiedener Stammenstraditionen durch eine großzügige synkretistische Erweiterung der Götterwelt – eine Lösung, die nicht sehr stabil gewesen ist. Die imperial entwickelten Hochkulturen haben deshalb ihre kollektive Identität auf eine Weise sichern müssen, die den Bruch mit dem mythischen Denken voraussetzt. Die universalistischen Weltdeutungen der großen Religionsstifter und Philosophen begründen eine durch Lehrtradition vermittelte Gemeinsamkeit der Überzeugung, die nur abstrakte Identifikationsobjekte zuläßt. Als Mitglieder universaler Glaubensgemeinschaften können die Bürger ihren Herrscher und die von ihm repräsentierte Ordnung anerkennen, soweit es gelingt, die politische Herrschaft in irgendeinem Sinne als Legat der geglaubten und absolut gesetzten Welt und Heilsordnung plausibel zu machen.«

[346] Vgl. R. Döbert und G. Nunner Winkler: Adoleszenzkrise und Identitätsbildung, Frankfurt/Main 1975.

[347] RHM 28.

[348] RHM 28/29.

[349] Adorno: ND 399.

[350] Aber nicht nur dort: das wirklich Neue an Habermas' Ansatz ist – von der Sekundärliteratur kaum bemerkt – der Beweis, daß jene Selbstwidersprüche, an die eine dialektische Theorie der Gesellschaft anknüpfen will, auch an anderen Orten aufspürbar sind: in der Linguistik, Systemtheorie und Anthropologie.

[351] Diese Begriffsbildung, die darauf zielt, gleichzeitig empirische und transzendentalphilosophische Phänomene auszudrücken (oder 'Substanz' und 'Funktion' in Habermas' Worten; Vgl. AWD 159) ist nirgendwo anschaulicher als bei Lukács. In Sätzen wie diesem z.B.: »[...] nur als Universalkategorie des gesamten gesellschaftlichen Seins ist die Ware in ihrer unverfälschten Wesensart begreifbar.« (GuK 97.)

[352] S.o. Adorno Zitat S. 169.

[353] Vgl. VuE 495.

[354] DA 38. Auch der Begriff des »objektivierenden Akts« spielt hier schon eine entscheidende Rolle: DA 227.

[355] GuK 95.

[356] GuK 107.

[357] GuK 96.

[358] ibid. 97.

[359] ibid.

[360] ibid. 110.

[361] ibid. 97.

[362] Vgl. DA 237: »In der Welt der Serienproduktion ersetzt deren Schema, Stereotypie, die kategoriale Arbeit«.

[363] GuK 115. Vgl. S. 112: »Sie drückt dem ganzen Bewußtsein des Menschen ihre Struktur auf: seine Eigenschaften und Fähigkeiten verknüpfen sich nicht mehr zur organischen Einheit der Person, sondern erscheinen als 'Dinge', die der Mensch ebenso 'besitzt' und veräußert', wie die verschiedenen Gegenstände der äußeren Welt. Und es gibt naturgemäß keine Form der Beziehung der Menschen zueinander, keine Möglichkeit des Menschen, seine physischen und psychischen 'Eigenschaften' zur Geltung zu bringen, die sich nicht in zunehmendem Maße dieser Gegenständlichkeitsform unterwerfen würden. Man denke dabei nur an die Ehe, wobei es sich erübrigt, an die Entwicklung im XIX. Jahrhundert hinzuweisen, da z.B. Kant mit der naiv zynischen Offenheit großer Denker diesen Tatbestand klar ausgesprochen hat.«

[364] ibid. 116.

[365] ibid. 118/9.

[366] Eine Idee, die für manche Brechtstücke maßgebend war: »Kleinbürgerhochzeit« etwa, oder »Die heilige Maria der Schlachthöfe.«

[367] »Die klassische Philosophie hat zwar alle Antinomien ihres Lebensgrundes auf die letzte, ihr erreichbare gedankliche Spitze getrieben, sie hat ihnen den höchstmöglichen gedanklichen Ausdruck verliehen: sie bleiben aber auch für dieses Denken unaufgelöste und unlösbare Antinomien. Die klassische Philosophie befindet sich also entwicklungsgeschichtlich in der paradoxen Lage, daß sie darauf ausgeht, die bürgerliche Gesellschaft gedanklich zu überwinden, den in ihr und von ihr vernichteten Menschen spekulativ zum Leben zu erwecken, in ihren Resultaten jedoch bloß zur vollständigen gedanklichen Reproduktion, zur apriorischen Deduktion der bürgerlichen Gesellschaft gelangt ist. Nur die Art dieser Deduktion, die dialektische Methode weist über die bürgerliche Gesellschaft hinaus.« (ibid. 164.)

[368] Diese Kritik am Vulgärplatonismus muß für die 'Frankfurter' eine erhebliche Rolle gespielt haben für den späten Adorno macht sie jedenfalls den Kern seiner Ästhetischen Theorie aus: »Die neue Kunst von Vergeistigung verhindert, wie die banausische Kultur es will, mit dem Wahren, Schönen und Guten weiter sich zu beflecken. Bis in ihre innersten Zellen ist, was man an der Kunst gesellschaftliche Kritik oder Engagement zu nennen pflegt, ihr Kritisches oder Negatives, mit dem Geist, ihrem Formgesetz zusammengewachsen. Daß gegenwärtig jene Momente stur gegeneinander ausgespielt werden, ist Symtom einer Rückbildung des Bewußtseins.« (Wohl auch eine Anspielung auf Benjamins Goethekritik.) Adorno: AT 144.

[369] S. 173: »Die vollkommene Unfähigkeit aller bürgerlichen Denker und Historiker, weltgeschichtliche Ereignisse der Gegenwart als Weltgeschichte zu begreifen, muß jeder nüchtern urteilende Mensch seit Weltkrieg und Weltrevolution in grauenhafter Erinnerung bewahren.«

[370] ibid. 169.

[371] Walter Schulz benutzt in einem ähnlichen Zusammenhang den einleuchtenden Begriff der 'Verleiblichung', um unter Anführung von Feuerbach, Schelling, Kierkegaard, Schopenhauer und Nietzsche die Vorgeschichte des Verhältnisses von Erkenntnistheorie und Psychologie auszuarbeiten. (PvW 367.)

[372] GuK 134.

[373] 'Neokantianismus' benutze ich hier im Adornoschen Sinne: er bezeichnet jene Attitüde, die starr dualistisch auf der objektiven Gültigkeit logisch mathematischer Axiome (bzw. empirischer 'Fakten') und gleichzeitig auf der subjektiven Unverbindlichkeit moralisch praktischer Prinzipien insistiert. Ersteres wird für apodiktisch wahr gehalten, letzteres für diskursiv unbegründbar.

[374] GuK 155. Es gibt eine nahezu identische Formulierung in der Ph.d.G., in der Hegel von dem »zerrissenen Selbst der Welt der Bildung« spricht: S. 479.

[375] ibid. 136.

[376] ibid. i43.

[377] ibid. 142. Vgl. S. 145: »Es kommt nur darauf an, klar zu begreifen, daß einerseits alle menschlichen Beziehungen (als Objekte des gesellschaftlichen Handelns) in steigendem Maße die Gegenständlichkeitsformen der abstrakten Elemente der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, der abstrakten Substrate der Naturgesetze erhalten und daß andererseits das Subjekt dieses 'Handelns' ebenfalls im steigenden Maße die Attitüde des reinen Beobachters dieser – künstlich abstrahierten – Vorgänge, des Experimentators usw., aufnimmt.«

[378] »Selbstgemachtes wird zum An sich, aus dem das Selbst nicht mehr hinausgelangt [...]« Adorno: ND 338.

[379] Dialektik der Aufklärung: S. 20.

[380] GuK 155.

[381] ibid. 148. Auch die autonome Kunst ist nicht imstande, diese objektive Schizophrenie zu durchbrechen: »Daß die wirklich kritische, nicht metaphysisch hypostasierte, künstlerische Auffassung der Welt zu einem noch weiteren Zerreißen der Subjektseinheit, also zur Vermehrung der Verdinglichungssymptome der Wirklichkeit führt, zeigt die spätere Entwicklung der konsequent modernen Kunstauffassung«. (S. 154/155.)

[382] ibid. 122.

[383] ibid. 168.

[384] Das kommt einer weitaus radikaleren Kritik an Kant gleich, als es selbst bei Marx der Fall war. Was bei Kant ein Schritt auf dem Wege zur objektiv gültigen Erkenntnis ist – die Grenzziehung zwischen Phänomenon und Noumenon –, liest Lukács nun als Symptom der psychischen Zerrissenheit des Subjekts in der bürgerlichen Epoche, als subjektive Seite eines konformistischen Sozialcharakters: »[...] das Subjekt wird in Phänomenon und Noumenon gespaltet, auch der unaufgelöste, unlösbare, als unlösbar verewigte Zwiespalt von Freiheit und Notwendigkeit ragt in seine innerste Struktur hinein.« (S. 137.)

[385] Vgl. GuK 227: »Der Funktionswechsel des historischen Materialismus«.

[386] Vgl. dazu TuP 246 ff.

[387] Wellmer spricht von einer »Rückkehr zum objektiven Idealismus« bei Lukács: »Kommunikation und Emanzipation«, S. 478.

[388] GuK 170.

[389] DA 55.

[390] GuK 176: »U.z. besagt das nunmehr gemeinte Nichthinnehmen der Empirie, dieses Hinausgehen über ihre bloße Unmittelbarkeit keineswegs eine einfache Unzufriedenheit mit dieser Empirie, einen einfachen – abstrakten – Willen, sie zu verändern. Ein solcher Wille, eine solche Bewertung der Empirie würde in der Tat rein subjektiv bleiben: ein 'Werturteil', ein Wunsch, eine Utopie. Aber auch indem der Wille zur Utopie die philosophisch objektiviertere und abgeklärtere Form des Sollens annimmt, geht er keineswegs über das Hinnehmen der Empirie und damit zugleich über den, allerdings philosophisch verfeinerten bloßen Subjektivismus der Veränderungstendenz hinaus. Denn das Sollen setzt gerade in seiner klassischen und reinen Form, die es in der Kantischen Philosophie erhalten hat, ein Sein voraus, auf das die Kategorie des Sollens prinzipiell unanwendbar ist. Gerade dadurch also, daß die Intention des Subjekts, sein empirisch gegebenes Dasein nicht einfach hinzunehmen, die Form des Sollens annimmt, erhält die unmittelbar gegebene Form der Empirie eine philosophische Bestätigung und Weihe; sie wird philosophisch verewigt. [...] Es bleibt damit für jede Theorie des Sollens das Dilemma übrig: entweder das – sinnlose – Dasein der Empirie, deren Sinnlosigkeit die methodische Voraussetzung des Sollens ist, da in einem sinnvollen Sein das Problem des Sollens gar nicht auftauchen könnte, unverändert stehen zu lassen und damit dem Sollen einen bloß subjektiven Charakter zu geben, oder sie muß ein (sowohl dem Sein wie dem Sollen) transzendentes Prinzip annehmen, um ein reales Einwirken des Sollens auf das Sein erklären zu können. Denn die beliebte, bereits von Kant angeregte Lösung im Sinne eines unendlichen Progresses verhüllt bloß die Unlösbarkeit dieses Problems. Es kommt ja – philosophisch – nicht darauf an, die Zeitdauer zu bestimmen, die das Sollen dazu braucht, um das Sein umzugestalten, sondern es müssen jene Prinzipien aufgezeigt werden, vermittelst welcher das Sollen überhaupt imstande ist, auf das Sein einzuwirken. Gerade dies ist aber durch die Fixierung des Naturmechanismus als unveränderlicher Form des Seins, durch die streng zweiheitliche Abgrenzung des Sollens vom Sein, durch die auf diesem Standpunkt unaufhebbare Starrheit, die Sollen und Sein in diesem Gegenüberstehen besitzen, methodisch unmöglich gemacht worden. Eine methodische Unmöglichkeit kann aber niemals, zuerst infinitesimal verkleinert und dann auf einen unendlichen Prozeß verteilt, plötzlich als Realität wieder zum Vorschein kommen.« Kritik am starren 'chorismos' des bürgerlichen Denkens – an der formalen Gegenüberstellung von Seiendem und Sollendem – hat allerdings schon Hegel in aller Klarheit geübt: »Es liegt im Empirismus dies große Prinzip, daß, was wahr ist, in der Wirklichkeit sein und für die Wahrnehmung da sein muß. Dies Prinzip ist dem Sollen entgegengesetzt, womit die Reflexion sich aufbläht und gegen die Wirklichkeit und Gegenwart mit einem Jenseits verächtlich tut, welches nur in dem subjektiven Verstande seinen Sitz und Dasein haben soll. Wie der Empirismus, erkennt auch die Philosophie nur das, was ist; sie weiß nicht solches, was nur sein soll und somit nicht da ist. – Nach der subjektiven Seite ist ebenso das wichtige Prinzip der Freiheit anzuerkennen, welches im Empirismus liegt, daß nämlich der Mensch, was er in seinem Wissen gelten lassen soll, selbst sehen, sich selbst darin präsent wissen soll.« (Enzyklopädie § 38)

[391] Z.B.: »Die methodologische Funktion der Vermittlungskategorien besteht darin, daß durch ihre Hilfe jene immanenten Bedeutungen, die den Gegenständen der bürgerlichen Gesellschaft notwendig zukommen, die aber ihrer unmittelbaren Erscheinung in der bürgerlichen Gesellschaft und dementsprechend ihren gedanklichen Spiegelungen im bürgerlichen Denken ebenso notwendig fehlen, objektiv wirksam werden und darum ins Bewußtsein des Proletariats gehoben werden können.« (S. 179.) Hat man diese beiden Dimensionen vor Augen, die Lukács – Hegel folgend – nicht analytisch trennen will ('Reflexion' im subjektiven, und im systemtheoretischen Sinne), dann hat man einen Interpretationsschlüssel für Textstellen wie diese: »Das Hinausgehen über diese Unmittelbarkeit kann nur die Genesis, die 'Erzeugung' des Objekts sein. Dies setzt aber hier bereits voraus, daß jene Vermittlungsformen, in denen und durch die über die Unmittelbarkeit des Daseins der gegebenen Gegenstände hinausgegangen wird, als struktive Aufbauprinzipien und reale Bewegungstendenzen der Gegenstände selbst aufgezeigt werden, daß also: gedankliche und geschichtliche Genesis – dem Prinzip nach – zusammenfallen.« (S. 171.)

[392] ibid. 157.

[393] S. 172: »Das Vermittelnde müßte«, nach Hegels Worten »das sein, worin beide Seiten eins wären, das Bewußtsein also das eine Moment im andern erkännte, seinen Zweck und Tun in dem Schicksale, und sein Schicksal in seinem Zweck und Tun, sein eigenes Wesen in dieser Notwendigkeit«.

[394] ibid. 158.

[395] ibid. 159.

[396] Vgl. Alfred Schmidts Einleitung zur Neuausgabe der Zeitschrift für Sozialforschung: »'Das Verhältnis zwischen philosophischen und [...] einzelwissenschaftlichen Disziplinen', auf das Horkheimer wegen seiner Wichtigkeit immer wieder zurückgekommen ist, 'darf nicht in dem Sinne gefaßt werden, als ob die Philosophie die entscheidenden Probleme behandle und dabei von Erfahrungswissenschaft unangreifbare Theorien, eigene Wirklichkeitsbegriffe, die Totalität umspannende Systeme konstruierte, während [...] die Tatsachenforschung ihre langen, langweiligen, sich in tausend Einzelfragen aufsplitternden Einzelerhebungen anstellt, um schließlich im Chaos des Spezialistentums zu enden.' Statt dessen kommt es Horkheimer darauf an, daß sich philosophische Theorie und einzelwissenschaftliche Praxis unentwegt dialektisch durchdringen und entfalten. Die Philosophie ist kein von außen an die empirischen Befunde herangetragener, fertiger Katalog von Kategorien, welcher der Dialektik des Erkenntnisprozesses (wie der Geschichte) entzogen bleibt. Als theoretische, aufs objektive 'Wesen' der Erscheinungen abzielende Intention fördert sie die speziellen Untersuchungen und ist dabei 'weltoffen genug, um sich selbst von dem Fortgang der konkreten Studien beeindrucken und verändern zu lassen.'« (S. 15.)

[397] »In dem Maß, als an die Stelle des Interesses für eine bessere Gesellschaft, von dem die Aufklärung noch beherrscht gewesen war, das Bestreben trat, die Ewigkeit der gegenwärtigen zu begründen, kam ein hemmendes und desorganisierendes Moment in die Wissenschaft. [...] Die Absperrung der Wissenschaft gegen eine angemessene Behandlung der Probleme, die mit dem Gesellschaftsprozeß zusammenhängen, hat eine methodische und inhaltliche Verflachung verursacht, die nicht bloß in der Vernachlässigung der dynamischen Beziehungen zwischen den einzelnen Gegenstandsgebieten zum Ausdruck kommt, sondern sich auf die verschiedenste Weise in dem Betrieb der Disziplinen fühlbar macht.« Horkheimer: »Bemerkungen über Wissenschaft und Krise«. ZfS, Jg. 1 (1932), S. 3.

[398] Vgl. LpD 438

[399] Zum Begriff der 'objektiven Verzweiflung' vgl. DA 127 und Ph.d.G. 384. (Auch Gunzelin Schmid Noerr: »Zerrissenheit als Verhältnis zur inneren Natur« in: ders., Sinnlichkeit und Herrschaft, S. 249.) Das ist bei Habermas eine explizite Wiederaufnahme jenes Topos, dem Horkheimer in seiner »Traditionellen und kritischen Theorie« einen zentralen Platz einräumt: der bürgerliche Gelehrte ist innerlich gespalten, befindet sich permanent in einer Art objektiver Identitätskrise. Institutionell ist er in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebettet, deren Funkion es ist, die reale Welt mit Theorien zu versorgen, die im Produktionsprozeß, in Prozessen der sozialen Integration und im Sozialisationsprozeß objektiv ihre Anwendung finden; er tut dies aber keineswegs bewußt – subjektiv sieht er nur die harmonische Scheinwelt der von allen empirischen Interessen scheinbar abgehobenen Sphäre der 'reinen' Theorie. »In dieser Vorstellung erscheint daher nicht die reale gesellschaftliche Funktion der Wissenschaft, nicht was Theorie in der menschlichen Existenz, sondern nur, was sie in der abgelösten Sphäre bedeutet, worin sie unter den historischen Bedingungen erzeugt wird.« (Horkheimer: TkT 146.) In Marcuses bedenkenswerter und knapper Zusammenfassung in der darauffolgenden Ausgabe der »Zeitschrift«: die bürgerliche Gesellschaft kennt nur »das abstrakte Ich, die abstrakte Vernunft, die abstrakte Freiheit«. (ZfS 6 [1937], S. 635.)

[400] Trotz Poppers Einsicht, daß die Biologie mit diesem traditionellen Wissenschaftsideal nicht vereinbar ist. Vgl. Popper: »Darwinism as a metaphysical Research Programme«, in P.A. Schilp (Hrsg.): The Philosophy of Karl Popper, Illinois, 1974, S. 133.

[401] Beide Gedankenlinien sind im Sinne der dialektischen Logik 'abstrakt', und in ihrer Abstraktheit komplementär zueinander: eine ideologiekritische Durchleuchtung des Neokantianismus muß vergeblich bleiben, solange keine empirische Gruppierung angegeben werden kann, die eine universalistische, 'vernünftige' Identität gegenüber Nationalstaat, Kapital und Militär wirksam institutionalisieren könnte; und die Systemtheorie bleibt 'abstrakt' solange sie Weltbilder (und deren Bezug auf psychologisch subjektive Individuierungs und Lernprozesse) nicht als Faktor in den Evolutionsprozeß selbst einbeziehen kann – wobei sich auch die Systemtheorie selbst als Weltbild verstehen und ihre eigenen kollektivistischen Züge abstreifen muß.

[402] LSW 49/50: »Diese Interpretation, derzufolge sich die empirisch analytischen Wissenschaften von einem technischen Erkenntnisinteresse leiten lassen, hat den Vorzug, Poppers Kritik am Empirismus zu berücksichtigen, ohne eine Schwäche seiner Falsifikationstheorie zu teilen. Wie nämlich soll unsere prinzipielle Ungewißheit über die Wahrheit wissenschaftlicher Informationen zusammengehen mit ihrer meist vielfältigen und recht dauerhaften technischen Verwertung? Spätestens in dem Augenblick, in dem die Kenntnisse empirischer Gleichförmigkeiten in technische Produktivkräfte eingehen und zur Basis einer wissenschaftlichen Zivilisation werden, ist die Evidenz der Alltagserfahrung und einer permanenten Erfolgskontrolle überwältigend; gegen das täglich erneuerte Plebiszit funktionierender technischer Systeme können sich die logischen Bedenken nicht behaupten. So sehr Poppers Einwände gegen die Verifikationstheorie Gewicht haben, so wenig plausibel erscheint deshalb seine Alternative. Aber eine Alternative ist sie nur unter der positivistischen Voraussetzung einer Korrespondenz von Sätzen und Sachverhalten. Sobald wir diese Voraussetzung fallenlassen und die Technik im weitesten Sinne als gesellschaftlich institutionalisierte Erfolgskontrolle für Wissen, das auf technische Verwertbarkeit seinem methodischen Sinne nach angelegt ist, ernst nehmen, läßt sich eine andere Form der Verifikation denken. Sie ist Poppers Bedenken enthoben und gibt doch unseren vorwissenschaftlichen Erfahrungen recht. Als empirisch wahr gelten dann alle die Annahmen, die ein erfolgskontrolliertes Handeln leiten können, ohne bisher durch experimentell angestrebte Mißerfolge problematisiert worden zu sein.«

[403] Diese Doppeldeutigkeit ist kein zufälliger Denkfehler – sie rührt am Prinzip der Philosophie insgesamt und selbst noch an der Frage, was es heißen könnte, daß sie der Grenzen des Idealismus an sich selbst gewahr werden soll (vgl. ND 397: »Selbstreflexion der Dialektik«). Die subjektive Reflexion ist eine Leistung des empirischen Subjekts; in der psychoanalytischen Terminologie: die Rekonstruktion einer Urszene. Wer dort über sich selbst und seine wahren Beweggründe einsichtig wird, ändert auch das Bild, das er von sich selbst und der Welt 'insgesamt' unterhält, aber die Identifikationen, die dort 'abgearbeitet' und aufgelöst werden (und u.U. durch andere ersetzt werden), bleiben dennoch an die kontingenten Identifikationen eines empirischen, innerhalb einer kontingenten Lebensgeschichte befangenen Subjekts gebunden. Die moderne Psychoanalyse, selbst eine theoretische Disziplin, verwechselt nicht länger das, was für die griechischen Ursprünge der 'theoretischen Einstellung zur Welt' gerade seine Entstehung erklärt: die dort notwendige 'Einheit' von subjektiver Reflexion und Kosmologie. De facto verfügte – um Leidensdruck, Angst und Tod zu bewältigen – das konkrete Individuum über Jahrtausende hinweg über keine anderen Mechanismen als die der Verdrängung und Projektion, aber das 'Innewerden' dieser Projektionen ist noch lange keine Erklärung der Gattungsevolution. Natürlich ist der Philosoph kein Patient im Sinne der Psychoanalyse: die Identifikationen, die in der Philosophie zu Bewußtsein kommen, sind nicht die kontingenten Identifikationen des Individuums, sondern jene kollektiv geteilten Überzeugungen, die Hegel noch die konkreten 'Entäußerungen' des absoluten Geistes nennt. Gerade die Metapher vom 'absoluten Subjekt', vom fürsichseienden Geist, verrät aber mehr vom Geheimnis der Philosophie als ihre Apotheosis – die idealistische Dialektik – wahrhaben darf: daß sie das einheits und sinnstiftende Moment in der Geschichtsphilosophie der Fiktion entlehnt, diese sei der Einzelbiographie 'analog'. Das Motiv »Muß ein ewiger Vater wohnen« (vgl. ND 378) ist ihr auferzwungen, weil sie sich sonst eingestehen müßte, gegen die Allgegenwärtigkeit von Gewalt, Brutalität und die sichere Aussicht auf einen elenden Tod nicht viel mehr aufbieten zu können als die Fiktion, es hätte alles seinen tieferen Sinn. Ist diese Fiktion einmal durchschaut, dann rührt das an der idealistischen Philosophie insgesamt, denn wenn die These von der Vernünftigkeit des Geschichtsablaufs sich als subtile Eschatologie herausstellt – als Wunschprojektion im Sinne der Feuerbachschen Hegelkritik – dann schlägt die Geschichtsphilosophie um in Soziologie, in eine Beschreibung von Strukturen und Institutionen, in Systemtheorie. Diese ist als Wissenschaft von Seiendem nicht weniger abstrakt als auf ihre Weise die idealistische Bewußtseinskritik; sie hat aber als Korrektur gegenüber der Bewußtseinskritik auch etwas Wesentliches voraus: sie verklärt nicht das Moment von Gewalt und Tod, verbannt sie nicht aus der Theorie; hat nicht länger an jener unerträglichen affirmativen Harmonisierung der Wirklichkeit teil, die etwa Marcuse dazu brachte, mit der Heideggerschen Version derselben zu brechen.

[404] Vgl. ND 50: »Privileg der Erfahrung«. Auch ND 389: »Das Ich muß geschichtlich erstarkt sein, um über die Unmittelbarkeit des Realitätsprinzips hinaus die Idee dessen zu konzipieren, was mehr ist als das Seiende.«

[405] Eine Fähigkeit, die allein, wie Lukács bereits erkannte, in der Philosophie bewußt ausgebildet wird: die Fähigkeit nämlich, jedes – auch und vor allem das eigene – Weltbild gleichzeitig 'intentio recta' und 'intentio obliqua' zu erfahren (was bei Hegel 'die Freiheit zum Objekt' heißt). 'Der Widerspruch muß gleichzeitig subjektiv und objektiv erfahrbar gemacht werden' – ein solcher Satz wird von der Vulgärsoziologie zwangsläufig als eine formallogische Anforderung mißverstanden, als Satz vom ausgeschlossenen Dritten (die Dialektik der Aufklärung spricht von Selbstwahrnehmung als die »phylogenetisch späteste Errungenschaft«: S. 227. Ähnliche Bemerkungen befinden sich in Adornos Philosophische Terminologie, Bd. 1, S. 62.).

[406] Vgl. TuP 228, auch AT 409/410.

[407] Dazu Adorno: »Der objektive Gehalt individueller Erfahrung wird hergestellt nicht durch die Methode komparativer Verallgemeinerung, sondern durch Auflösung dessen, was jene Erfahrung, als selber befangene, daran hindert, dem Objekt so ohne Vorbehalt, nach Hegels Wort, mit der Freiheit sich zu überlassen, die das Subjekt der Erkenntnis entspannte, bis es wahrhaft in dem Objekt erlischt, dem es verwandt ist vermöge seines eigenen Objektseins. Die Schlüsselposition des Subjekts in der Erkenntnis ist Erfahrung, nicht Form; was bei Kant Formung heißt, wesentlich Deformation. Die Anstrengung von Erkenntnis ist überwiegend die Destruktion ihrer üblichen Anstrengung, der Gewalt gegen das Objekt. Seiner Erkenntnis nähert sich der Akt, in dem das Subjekt den Schleier zerreißt, den es um das Objekt webt. Fähig dazu ist es nur, wo es in angstloser Passivität der eigenen Erfahrung sich anvertraut.« GS Bd. 10 (II), S. 752.

[408] Adorno bringt es auf die knappe Formel: die Negation des Negativen ist nicht das Positive. (AT 478 und ND 159 f.).

[409] D.h. jene Phänomene, die nicht studiert werden können, ohne die Einführung eines qualitativ anderen als des in den traditionellen Naturwissenschaften gängigen Gesetzesbegriffs: »Demgegenüber (dem abstrakten Gesetzesbegriff – FvG) behauptet eine dialektische Theorie der Gesellschaft die Abhängigkeit der Einzelerscheinungen von der Totalität; die restriktive Verwendung des Gesetzesbegriffs muß sie ablehnen. Über die partikularen Abhängigkeitsverhältnisse historisch neutraler Größen hinaus zielt ihre Analyse auf einen objektiven Zusammenhang, der auch die Richtung der historischen Entwicklung mit bestimmt. Dabei handelt es sich freilich nicht um jene sogenannten dynamischen Gesetzmäßigkeiten, die strikte Erfahrungswissenschaften an Ablaufmodellen entwickeln. Die historischen Bewegungsgesetze beanspruchen eine zugleich umfassendere und eingeschränktere Geltung. Weil sie vom spezifischen Zusammenhang einer Epoche, einer Situation nicht abstrahieren, gelten sie keineswegs generell. Sie beziehen sich nicht auf die anthropologisch durchgehaltenen Strukturen, auf geschichtlich Konstantes; sondern auf einen jeweils konkreten Anwendungsbereich, der in der Dimension eines im ganzen einmaligen und in seinen Stadien unumkehrbaren Entwicklungsprozesses, also schon in Kenntnis der Sache selbst und nicht bloß analytisch definiert ist. Andererseits ist der Geltungsbereich dialektischer Gesetze auch umfangreicher, gerade weil sie nicht die ubiquitären Beziehungen einzelner Funktionen und isolierter Zusammenhänge erfassen, sondern solche fundamentalen Abhängigkeitsverhältnisse, von denen eine soziale Lebenswelt, eine epochale Lage im ganzen, eben als eine Totalität bestimmt und in allen ihren Momenten durchwirkt ist: 'Die Allgemeinheit der sozialwissenschaftlichen Gesetze ist überhaupt nicht die eines begrifflichen Umfangs, dem die Einzelstücke bruchlos sich einfügen, sondern bezieht sich stets und wesentlich auf das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem in seiner historischen Konkretion.'« (Habermas: AWD 16/17. Das Zitat stammt von Adorno.)

[410] TkH 285.

[411] ibid. 282.

[412] ibid. 288.

[413] TkH2: 284/285.

[414] Max Webers Einleitung zu seiner Religionssoziologie ist unter diesem Aspekt recht bedenkenswert. Er bezeichnet »religiös oder magisch motiviertes Handeln« als »relativ rationales Handeln« (Wirtschaft und Gesellschaft, 245) und teilt mythisches Verhalten von vornherein danach ein, ob wir es verstehen oder nicht. D.h. seine klassifikatorische Methode schreibt logisch fest, was in Wahrheit nichts als ein 'common sense' Vorurteil ist: daß es auf dieser Ebene Verhaltensmuster gibt, von denen wir denken, sie sind verstehbar und andere Handlungen, die wir eben nicht verstehen, weil sie »religiös« sind. Fragt man aber nach, von welchen Handlungen Weber nun annimmt, sie seien verstehbar, dann erweisen sich diese Handlungen als im ökonomischen Sinne zweckrational; d.h. sie haben eine von uns angebbare Funktion: »Religiös oder magisch motiviertes Handeln ist [...], gerade in seiner urwüchsigen Gestalt, ein mindestens relativ rationales Handeln: wenn auch nicht notwendig ein Handeln nach Mitteln und Zwecken, so doch nach Erfahrungsregeln. Wie das Quirlen den Funken aus dem Holz, so lockt die 'magische' Mimik des Kundigen den Regen aus dem Himmel [...] Das religiöse oder 'magische' Handeln oder Denken ist also gar nicht aus dem Kreise des alltäglichen Zweckhandelns auszusondern, zumal auch seine Zwecke selbst überwiegend ökonomische sind.« (WG 245) Der Hinweis, ein bestimmtes Verhalten habe eine bestimmte Funktion, sagt über Subjektivitätsinhalte aber noch nichts aus: er hat den Stellenwert einer naturwissenschaftlichen Beobachtung, die von vornherein mögliche Subjektivitätskategorien ausblendet (deshalb kommt diese Bestimmung den Funktionalitätsaussagen in der Biologie gleich: »Die Flosse hat folgende Funktion [...]«). D.h. der Sakral/Profan Unterschied wird so eingeführt, daß er von dem abstrahiert, was er eigentlich untersuchen soll: Sprache und Prozesse der Ichentwicklung.

[415] Mythe et métaphysique, S. 83. Nicht, daß hier suggeriert werden soll, der Komplex: Ritus, Mythos, Sprache und Kunst könnte in wenigen Sätzen behandelt werden. Aber gerade Habermas' Kritik am Objektivismus hat die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß in der Soziologie, und noch bei einem so bedeutenden Theoretiker wie Max Weber, die Differenzierung zwischen Klassifikationen, die wir, als moderne Sozialforscher einführen und die Denkoperationen, die von den Objekten unserer Forschung ausgeführt werden (seien es Kinder, seien es Mitglieder archaischer Gesellschaften), nicht strikt genug durchgeführt wird. Eben darum geht es in der Kontroverse, nicht nur mit einer naturwissenschaftlich orientierten Soziologie, sondern auch mit einer strukturalistisch verfahrenden Hermeneutik (Oevermann); in beiden Fällen dreht sich die philosophische Kritik um den Punkt, daß der Unterschied zwischen 'uns' und 'ihnen', zwischen unserem Weltbild und dem ihrigen, kurz: zwischen Subjekt und Objekt, auf neu idealistische Weise eingeebnet wird. Hat Habermas uns die Triftigkeit dieser Kritik einmal beigebracht, dann ist nicht leicht einzusehen, warum es bei einem klassifikatorischen Unterschied wie dem zwischen sakral und profan nicht ebenfalls gelten soll. Den Unterschied von sakral und profan verstehen zu können, setzt die Fähigkeit voraus, subtile gedankliche Differenzierungen ausführen zu können: als empirische Kompetenz ist sie mit jener 'theoretischen Einstellung zur Welt' verbunden, die realgeschichtlich (auch nach Habermas) erst seit der Antike belegt werden kann und wohl kaum sehr viel früher. Im Paleolithikum haben wir es scheinbar mit Lebewesen zu tun, bei denen der Mechanismus dessen, was bei Freud Objektbesetzung und bei Piaget Verinnerlichung heißt, nicht mehr über Mutationen und 'natürliche Auslese' stattfindet und noch nicht über einen Sozialisationsprozeß, der im Medium der Sprache sich vollzieht – geschweige denn eines, der im Medium eines intern schon durchrationalisierten religiösen Weltbildes stattfindet. Das Problem geht auf die Mehrdeutigkeit im Marxschen Widerspruchsbegriff zurück: er kann die systemtheoretische Analyse von Gesellschaften und was bei Weber die Rationalisierung von Weltbildern heißt, nicht systematisch genug auseinanderhalten.

[416] Gusdorf a.a.O., S. 84.

[417] TkH2: 287.

[418] Der Hauptgegner ist (intellektuell) der Positivismus. Das macht es sinnvoll, den intuitiv wahrnehmbaren Unterschied zwischen Umgangssprache und Wissenschaftssprache kritisch gegen das formalisierte Wissenschaftsideal zu pointieren: »Es besteht ein systematischer Zusammenhang zwischen der logischen Struktur einer Wissenschaft und der pragmatischen Struktur möglicher Verwendungen der in ihrem Rahmen erzeugbaren Informationen. Diesen differentiellen Handlungsbezug der beiden erwähnten Kategorien von Wissenschaften habe ich auf den Umstand zurückgeführt, daß wir in der Konstituierung der wissenschaftlichen Objektbereiche den alltäglichen Vorgang der Vergegenständlichung der Realität unter den Gesichtspunkten der technischen Verfügbarkeit und der intersubjektiven Verständlichkeit bloß fortsetzen.« (TuP 16.) In Theorie des kommunikativen Handelns führt er diesen Unterschied klassifikatorisch ein. (TkH1:446. Im Anhang hier wiedergegeben.) Dies ist aber ein phänomenologischer Vorgang: ein Können (die Befreiung von internalisiertem Zwang) wird exemplarisch vorgeführt und vermittelt. Der Besinnungsprozeß entzündet sich an einem latenten Widerspruch zwischen umgangssprachlichen und wissenschaftssprachlichen Kommunikationsstrukturen, die wir uns, als moderne Subjekte, bewußt machen können. Wenn etwas an diesem Vorgang invariant sein sollte (vgl. TuP 16), dann ist dies die Fähigkeit zur subjektiven Reflexion, nicht aber ihr moderner Ausgangspunkt. Als empirische Entität, auf anthropologischer Ebene eingeführt, ist der Begriff 'kommunikatives Handeln' weniger einleuchtend: die technische Verfügungsgewalt, deren verinnerlichte Reflexe Habermas bei modernen Subjekten aufheben will, ist in archaischen Gesellschaften noch unsicher, im Prozeß der Konsolidierung. Sie hängt in archaischen Gesellschaften mit einem Phänomen zusammen, das in der Habermasschen Begrifflichkeit nicht faßbar ist: die Kommunizierbarkeit – und damit die Überlieferbarkeit – von technischem Können.

[419] Lorenz geht von einer Evolution in der Lernfähigkeit aus, die ich in eine Tabelle im Anhang zusammenfasse: siehe S. 222.

[420] B.T. Gardner und R.A. Gardner: »Teaching Sign language to a chimpanzee« in: Science, 1969.

[421] Dazu Adorno: »Daß der Kategorie der Verdinglichung, die inspiriert war vom Wunschbild ungebrochener subjektiver Unmittelbarkeit, nicht länger jener Schlüsselcharakter gebührt, den apologetisches Denken, froh materialistisches zu absorbieren, übereifrig ihr zuerkennt, wirkt zurück auf alles, was unter dem Begriff metaphysischer Erfahrung geht. Die objektiven theologischen Kategorien, die seit dem jungen Hegel von der Philosophie als Verdinglichungen angegriffen wurden, sind keineswegs nur Rückstände, welche Dialektik aus sich ausscheidet. Sie stehen komplementär zur Schwachheit der idealistischen Dialektik, die als Identitätsdenken das nicht ins Denken Fallende reklamiert, das doch, sobald es jenem als sein bloß Anderes kontrastiert wird, jede mögliche Bestimmung einbüßt. In der Objektivität der metaphysischen Kategorien schlug nicht allein, wie der Existentialismus es möchte, die verhärtete Gesellschaft sich nieder, sondern ebenso der Vorrang des Objekts als Moment der Dialektik. Die Verflüssigung alles Dinghaften ohne Rest regredierte auf den Subjektivismus des reinen Aktes, hypostasierte die Vermittlung als Unmittelbarkeit. Reine Unmittelbarkeit und Fetischismus sind gleich unwahr. Die Insistenz auf jener gegen die Verdinglichung entäußert sich, wie Hegels Institutionalismus durchschaute, ebenso willkürlich des Moments der Andersheit in der Dialektik, wie diese wiederum nicht, nach der Übung des späteren Hegel, in einem ihr jenseitigen Festen zu sistieren ist.« ND 367/368.

[422] Die deutschen Kritiker von Habermas, deren Zugang zu Kant, Hegel und Marx nicht noch zusätzlich mit Sprachbarrieren belastet sind, sind m.E. zuweilen dazu geneigt, dieses Moment zu übersehen. Wenn selbst der Übersetzer von Adornos Negativer Dialektik freimütig eingesteht, er habe recht wenig davon verstanden, was er übersetzt habe (Vgl. E.B. Ashton: Translators Note, in Adorno: Negative dialectics, London, 1966), dann ist das ein Hinweis darauf, daß in einer Welt, die von Wissenschaft und Technik überzogen wird 'wie einst die Barockisierung' (Adorno), jener Archimedische Punkt, von woher dies eingesehen werden könnte, vielleicht nicht mehr die philosophische Überlieferung ist. Das Großartige an Habermas ist nicht, daß er Marx 'verbessert' oder eine neue 'philosophische Entdeckung' gemacht hat (wer von der hegelschen und nachhegelschen Philosophie berührt worden ist, käme kaum auf den Gedanken, ein solches Vokabular zu verwenden), sondern daß er die Idee einer immanenten Kritik an den naturbeherrschenden, empiristisch verfahrenden Naturwissenschaften ernst nimmt. Die Kritik am Positivismus ist der gemeinsame Nenner für die unterschiedlichsten philosophischen Richtungen – dies ist es nicht, was Habermas von seinen Kritikern trennt. Sondern eher dies: er hat ein Gespür dafür entwickelt, daß für eine Nach (oder vielleicht wieder einmal eine Vor ) Kriegsgeneration, die keine anderen geistigen Horizonte kennt als die von Wissenschaft und Technik, die traditionelle Metaphysik zur terra incognita geworden ist; daß die Kritik an Wissenschaft und Technik, will sie nicht vergeblich bleiben, ins Lager des Gegners getragen werden muß: »Wenn es eine Philosophie geben sollte, angesichts deren sich die Frage: Wozu noch Philosophie? nicht mehr stellt, würde es, unseren Überlegungen zufolge, heute eine nichtszientistische Wissenschaftsphilosophie sein müssen. Sie fände in dem schnell expandierenden Hochschulsystem, wenn sie mit den Wissenschaften und den Wissenschaftlern selber kommuniziert, eine breitere Basis der Wirksamkeit, als je eine Philosophie sie gehabt hat. Sie bedürfte nicht länger der Organisationsform der in einzelnen Philosophien auftretenden Lehre. Ihr fiele sogar, indem sie gegen die doppelte Irrationalität eines positivistisch beschränkten Selbstverständnisses der Wissenschaften und einer technokratisch von öffentlich diskursiver Willensbildung abgelösten Administration angeht, eine politisch folgenreiche Aufgabe zu. Gerade darum steht es aber nicht in der immanenten Kraft einer philosophischen Fachdiskussion, ob die heute erkennbaren Ansätze einer Theorie der Wissenschaften in praktischer Absicht sich zu praktischer Wirksamkeit entfalten werden. Eine Philosophie, die sich idealistisch diese Macht selber zutraute, hätte das Pensum vergessen, an dem sich die ins Stadium der Kritik eintretende Philosophie seit fast ein und einem halben Jahrhundert abgearbeitet hat.« (PPP 35/36.) Habermas nimmt die Einsicht ernst, daß es nicht mehr ausreicht, die Seinsvergessenheit zu tragieren; vielleicht ernster als manche seiner Kritiker. Folgende Sätze stammen von Adorno und beziehen sich auf Hegel. Habermas hat aus Stellen wie dieser den Schluß gezogen, der Ort, wo dieses Programm sich noch einlösen ließe, sei nicht länger der der Philosophie sondern die Kommunikationstheorie: »Er wußte, daß jegliche Kritik an dem verdinglichenden, teilenden, entfremdenden Bewußtsein ohnmächtig ist, die ihm bloß von außen her eine andere Quelle der Erkenntnis kontrastiert; daß eine Konzeption der Ratio, die aus der Ratio herausspringt, deren eigenen Kriterien ohne Rettung wiederum erliegen muß. Darum hat Hegel den Widerspruch von wissenschaftlichem Geist und Wissenschaftskritik, der bei Bergson klafft, selbst zum Motor des Philosophierens gemacht. Reflexionsdenken weist nur durch Reflexion über sich hinaus; der Widerspruch, den die Logik verpönt, wird zum Organ des Denkens: der Wahrheit des Logos. Hegels Kritik der Wissenschaft, deren Name bei ihm emphatisch stets wiederkehrt, will nicht apologetisch die vor Kantische Metaphysik gegen das szientifische Denken restaurieren, das ihr mehr stets an Gegenständen und Lehren entriß. Wider die rationale Wissenschaft wendet er ein durchaus Rationales ein: daß sie, die sich die Rechtsquelle von Wahrheit dünkt, um ihrer eigenen Ordnungsbegriffe, um ihrer immanenten Widerspruchslosigkeit und Praktikabilität willen die Gegenstände präpariert, zurechtstutzt, bis sie in die institutionellen, 'positiven' Disziplinen hineinpassen. Daß die Wissenschaft sich weniger um das Leben der Sachen bekümmert als um deren Vereinbarkeit mit ihren eigenen Spielregeln, motiviert den Hegelschen Begriff der Verdinglichung: was sich als unantastbare, irreduktible Wahrheit geriert, ist bereits Produkt einer Zurüstung, ein Sekundäres, Abgeleitetes. Philosophisches Bewußtsein hat nicht zuletzt die Aufgabe, das in der Wissenschaft Geronnene durch deren Selbstbesinnung wiederum zu verflüssigen, in das zu retrovertieren, woraus es die Wissenschaft entfernte. Deren eigene Objektivität ist bloß subjektiv [...] Hegel hat, in der Sprache der Erkenntnistheorie und der aus ihr extrapolierten der spekulativen Metaphysik, ausgesprochen, daß die verdinglichte und rationalisierte Gesellschaft des bürgerlichen Zeitalters, in der die naturbeherrschende Vernunft sich vollendete, zu einer menschenwürdigen werden könnte, nicht, indem sie auf ältere, vorarbeitsteilige, irrationalere Stadien regrediert, sondern indem sie ihre Rationalität auf sich selbst anwendet, mit anderen Worten, der Male von Unvernunft heilend noch an ihrer eigenen Vernunft innewird, aber auch der Spur des Vernünftigen am Unvernünftigen.« (Adorno: 3H 311.)

[423] TuP 22/23.

[424] Dazu K.O. Apel (aus: »Wissenschaft als Emanzipation?« in: Materialien zu 'Erkenntnis und Interesse', S. 333.): »Es geht dann darum, das soeben am Beispiel der Pädagogik und der Psychotherapie entwickelte Modell der Provokation von Reflexionsprozessen, welche unbewußt motiviertes und insofern erklärbares und manipulierbares Verhalten in bewußt verantwortetes Handeln umsetzen, auf die Gesellschaft im ganzen anzuwenden: Soziologie wird so zur emanzipatorisch engagierten Ideologiekritik, die sich übrigens – und darin geht die 'kritischen Theorie', ebenso wie Sartre, über Marx hinaus – ihrerseits durch die individualpsychologische Aufklärung (z.B. Psychoanalyse) zu vermitteln hat; denn die Gesellschaft kann sich auch nicht emanzipieren ohne die Emanzipation aller einzelnen; und schon gar nicht kann sie, über die Köpfe der einzelnen hinweg, durch Manipulation einer die 'objektiven Interessen' aller verwaltenden Parteielite emanzipiert werden. An dieser Stelle, wo es um die Verhinderung elitärer Manipulation auch auf seiten der Emanzipateure geht, wird nun aber ein Problem sichtbar, das auch in der Pädagogik und Psychotherapie als das der riskanten Theorie Praxis Vermittlung bereits enthalten ist, im Bereich der Gesellschaftskritik und Gesellschaftstherapie aber zum Politikum werden muß: Es erhebt sich die Frage: Wie kann die zur ideologiekritischen Sozialwissenschaft dazugehörige Gesellschaftstherapie als politisch relevante Praxis organisiert und institutionalisiert werden?«

[425] TuP 31 ff.

[426] TuP 234.

[427] Vgl. das wichtige Kapitel »Zu Theoremen der Motivationskrise«, in: Legitimationsprobleme [...] S. 106.

[428] TuP 13.

[429] Adorno: ND 242/243.